Die Geschichte Israels

von Stefan Meißner

20. Die hellenistische Zeit


Alexander der Große - British Museum

20.1 Die Zeit Alexanders

Literatur
Johann Maier: Zwischen den Testamenten: Geschichte und Religion in der Zeit des zweiten Tempels
Peter Schäfer: Geschichte der Juden in der Antike. Die Juden Palästinas von Alexander dem Großen bis zur arabischen Eroberung, Stuttgart, 1983
Markus Sasse: Geschichte Israels in der Zeit des Zweiten Tempels, 2. Aufl. 2009
Martin Hengel, Judentum und Hellenismus, WUNT 10, Tübingen 3. Aufl. 1988

Unter “Hellenismus“ versteht man eine orientalisch-griechische Mischkultur, die sich auf verschiedenen Gebieten manifestiert:
Auf der politisch-gesellschaftlichen Ebene beinhaltet Hellenismus eine direkte Herrschaft der Hellenen (Soldaten, Offiziere, Verwaltungsbeamte und Pächter) über die unterworfenen Völker. Diese Herrschaft manifestiert oft, aber nicht zwangsläufig in der Einrichtung einer Polis-Verfassung nach griechischem Muster.
Auf der kulturell-religiösen Ebene geht die Hellenisierung des östlichen Mittelmeerraumes einher mit der Verbreitung der griechischen Sprache (koiné), dem Export von Theatern u. sportlichen Wettkämpfen. Im Bereich der Religion vermischen sich nicht selten Vorstellungen aus der griechischen Götterwelt mit Elementen aus orientalischen Kulten.

Man muss sich vor Augen halten, dass der östliche Mittelmeerraum bereits vor der Eroberung durch Alexander “hellenisiert” waren. Auch die Römerzeit, selbst noch unter den christlichen Kaisern (also nach der Konstantinischen Wende, 313 n.Chr.), kann als hellenistisch bezeichnet werden – insofern als die Hauptcharakteristika der Epoche noch fortdauerten (nach S. Safrai sogar bis zur Araberzeit!)

Bereits Alexanders Vater, Philipp II., war es gelungen, die makedonische Vorherrschaft über die Griechenstämme zu sichern. Nur zwei Jahre nach dessen Tod forderte der junge Alexander das noch immer mächtige persische Großreich heraus. Die entscheidende Schlacht, die über die Vorherrschaft in Kleinasien entschied, fand bei Issos (333 v.Chr.) statt. Obwohl Dareios die doppelte Zahl von Kriegern aufbieten konnte, unterlag er dem Heer der Hellenen, das von dort aus weiter nach Süden und Osten vordrang. Vom Siegenszug des jungen Alexander von Norden her in Richtung Ägypten (Issos – Tyros – Gaza) waren die jüdischen Siedlungsgebiete nicht direkt betroffen, da sie nicht an den Handels- u. Aufmarschstraßen gelegen waren. Die Juden hatten Alexander nicht aktiv in seinem Kampf gegen die Perser unterstützt, aber sie anerkannten seine Oberhoheit, so dass sie ihre alte Rechtsstellung erhalten konnten.

Auf ein unproblematisches Verhältnis der Juden zu dem neuen Machthaber deutet auch ein legendarischer Bericht von einem Treffen Alexanders mit dem jüdischen Hohepriester Jaddus. Nach Josephus (Ant. XI 8, §§ 4-6, siehe Literaturhinweis unten!) spielte sich dieses vor den Toren Jerusalems an einem Ort namens Sapha statt. Historisch wahrscheinlicher dürfte die Auskunft des Talmud sein, der die Szene in Kefar Saba (Tel Khirbet Sabieh, in der Küstenebene, unweit vom heutigen Petach Tikva) lokalisiert (so auch P. Schäfer, 22). Eine eher negative Charakterisierung erfährt Alexander in Dan, äthHen und 1Makk, teilweise vielleicht auch wegen der Religionspolitik seiner Nachfolger.

Als Alexander im Jahr 323 v.Chr. nach Rückkehr aus Indien in Babylon stirbt, ist die Hellenisierung des Israels noch lange nicht abgeschlossen. Im Gegenteil: die größten Herausforderungen standen dem Land unter dessen Nachfolgern erst noch ins Haus.

Externe Links
http://de.wikipedia.org/wiki/Hellenismus
http://de.wikipedia.org/wiki/Geschichte_des_Hellenismus
http://www.jewishencyclopedia.com/view.jsp?artid=1120&letter=A


20.2 Die Zeit der Diadochen


Ptolemaios I. Soter - Louvre, Paris

Literatur
Johann Maier: Zwischen den Testamenten: Geschichte und Religion in der Zeit des zweiten Tempels

Nach dem Tod Alexanders gab es erbitterte Machtkämpfe um sein Erbe zwischen seinen Generälen, die man auch Diadochen (gr.: diadoché = Übernahme, Nachfolge) nennt. Im Nahen Osten bildeten sich zwei neue Machtzentren aus, deren Vorherrschaft über Palästina anfangs öfter wechselte: Die Ptolemäer in Ägypten und die Seleukiden in Syrien. Die Diadochenzeit ist für die Juden insgesamt eine Zeit häufiger Kriege und innerer Zerrissenheit, die im religiösen Schrifttum überwiegend negativ gesehen wird.

In Jerusalem entstehen nach dem Tod Alexanders zwei rivalisierende Parteien:
Die Tobiaden, die nach Tobias, einem ostjodanischen Lokalfürsten, benannt waren und v.a. die Interessen der Laienaristokratie vertraten, verhielten sich (zumindest anfangs) pro-ptolemäisch.
Die Oniaden hingegen, benannt nach dem Hohepriester Onias, waren anfangs pro-seleukidisch.

20.2.1 Palästina unter ptolemäischer Herrschaft (301-200 v.Chr.)

Das dritte vorchristliche Jahrhundert war für die Menschen in Palästina überwiegend eine Zeit des Friedens und des wirtschaftlichen Aufschwungs.
In politischer Hinsicht gab es unter den Ptolemäern eine straffe zentralistische Verwaltung des Reiches. Aber gegenüber der Perserzeit änderte sich wenig: Aus der Provinz Jehud wurde die Hyparchie Judäa, eine der sechs Hyparchien Koile-Syriens. Regiert wurde Judäa durch den zaddokidischen Hohepriester und einen Ältestenrat (Gerusia), der im Grunde die Fortführung des „Rates der Ältesten von Judäa“ aus persischer Zeit war.

Einige größere Städte in der Küstenebene genossen im Rahmen der Polis-Verfassung eine Teilautonomie. Ob Jerusalem als Tempelstaat ähnliche Freiheiten genoss (so M. Hengel), ist unklar.

Auch in wirtschaftlicher Hinsicht gab es eine starke zentrale Lenkung mit staatlichen Monopolen (Öle, Salz, Bier etc.) und einer scharfen Kontrolle des Außenhandels. Das Land in Syro-Palästina gehörte als “speergewonnenes Land” dem König, der es einzelne Parzellen an einheimische Bauern verpachten konnte. Gegen Ende der ptolemäischen Herrschaft führte dieses System der Steuerpacht, gepaart mit hohen Zöllen, zu einer erheblichen Belastung der einfachen Bevölkerung.

Proteste gegen die damit einher gehenden Veränderungen in der Sozialstruktur erheben v.a. apokalyptische Kreise. Es entsteht eine Armenfrömmigkeit, für die „arm“ gleichbedeutend wird mit „fromm“ und „reich“ mit „hellenisiert“, also heidnisch.

20.2.2 Palästina unter seleukidischer Herrschaft (200-135 v.Chr.)

Einen Machtwechsel in Palästina führte der Sieg des Seleukiden Antiochos III über den Ptolemäer Skopas im 5. Syrischen Krieg herbei. Die neuen Herrscher wurden in Jerusalem freudig begrüßt, denn sie förderten zunächst die lokalen Kulte, erlaubten den Juden nach ihrem in der Tora nieder gelegten Recht zu leben und gewährten sogar befristete Steuererleichterungen (vgl. 1 Makk 10). Die von ihnen eingeführten föderalistischen Herrschaftsstrukturen räumten der einheimischen Bevölkerung eine gewisse Teilautonomie ein.

Erst als die Seleukiden zunehmend unter den Druck der Römer geraten, ändert sich die Stimmung im Land: Aus den hohen Reparationsleistungen, die die Syrer an das aufstrebende Rom zu leisten hatten, erwuchs ein hoher Abgabendruck, der an die unterworfene Bevölkerung weiter gegeben wurde. Mehr als einmal griff man zur Sanierung der Staatsfinanzen zum Mittel des Tempelraubs (vgl. Heliodoraffäre).

Als es beim Thronwechsels von Seleukos IV. zu Antiochus IV. (175 v.Chr.) zu Wirren im Seleukidenreich kommt, nutzen die Tobiaden die Situation, um in Jerusalem die Macht an sich zu reißen. Sie sorgen zunächst durch Ämterkauf für die Einsetzung Jasons zum Hohepriester. Dann wandeln sie die Stadt in eine gr. Polis um, die Tora als Verfassung des jüdischen Volkes wird außer Kraft gesetzt.

Diese Maßnahmen wirkten für viele Juden wie ein Schock. Zum ersten Mal lernte man die bedrohliche Seite des Hellenismus kennen. Zum Aufstand kam es in Jerusalem nach dem Kauf des Hohenpriesteramtes durch Menelaos. Dieser war nicht nur ein radikaler Hellenisierer, sondern ihm fehlte auch die Herkunft aus dem Geschlecht der Zaddokiden, die seit Davids Zeiten für einen Hohenpriester Voraussetzung war.

Daraufhin greift Antiochus IV. Epiphanes in das Geschehen ein, erobert Jerusalem und plündert mit Hilfe des Menelaos den Tempel (169 v.Chr. vgl. 1 Makk 4,36-59). Als nach seinem Abzug erneut Unruhen ausbrechen, richtet sein Beauftragter ein Blutbad an, schleift die Stadtmauern und errichtet in der Davidstadt eine Zwingburg, die Akra. Seine Religionsdekrete verlangen die Einstellung der Opfer am Tempel, statt dessen soll ein Zeuskult eingeführt werden. Auf das Praktizieren von Sabbat und Beschneidung steht die Todesstrafe.

Chanukka

An die Wiedereinweihung des Jerusalemer Tempels im Jahr 164 v. Chr. erinnert das jüdische Chanukkafest, an dem eine Woche lang Lichter an einem neunarmigen Leuchter entzündet werden. Mehr zu diesem Fest finden Sie hier...

 

20.2.3 Die Religionsdekrete des Antiochus Epiphanes IV.


Münze mit dem Abbild Antiochus IV. Auf der Rückseite Apollon
Aufschrift : "Antiochus, der erschienene Gott, der Siegreiche"

Damals schrieb der König seinem ganzen Reich vor, alle sollen zu einem einzigen Volk werden, und jeder solle seine Eigenart aufgeben. Alle Völker fügten sich dem Erlaß des Königs.Auch vielen Männern aus Israel gefiel der Gottesdienst, den er angeordnet hatte; sie opferten den Götterbildern und entweihten den Sabbat. Der König schickte Boten nach Jerusalem und in die Städte Judäas mit der schriftlichen Anordnung, man solle eine Lebensform übernehmen, die dem Land fremd war. Brand-, Schlacht- und Trankopfer im Heiligtum seien einzustellen, Sabbate und Feste zu entweihen, das Heiligtum und die Heiligen zu schänden. Man solle statt dessen Altäre, Heiligtümer und Tempel für die fremden Götter errichten sowie Schweine und andere unreine Tiere opfern. Ihre Söhne dürften sie nicht mehr beschneiden, vielmehr sollten sie sich mit jeder denkbaren Unreinheit und Schande beflecken. So sollte das Gesetz in Vergessenheit geraten, und alle seine Vorschriften sollten hinfällig werden. Wer aber des Königs Anordnung nicht befolge, müsse sterben. (1 Makk 41-50)

Es ist in der Forschung umstritten, ob diese weitgehenden Maßnahmen von Menelaos und seinen Parteigängern ausging. Dann wäre der Konflikt eine rein innerjüdische Angelegenheit, wie M.Hengel vermutet. Es könnte aber auch sein, dass die Religionsverfolgungen eine Reaktion des Königs auf die Rebellion der “Frommen” war (so V. Tscherikover).

Die blutige Unterwerfung Jerusalems durch Antiochus IV. bedeutete das Ende der jüdischen Selbstverwaltung, ein völliges Aufgehen Judäas in einem heidnischen, absolutistischen Vielvölkerstaat und das Ende der religiösen Selbstbestimmung.

Empfohlene Literatur

Die "Jüdischen Altertümer" (Antiquitates Judaicae) erschienen etwa um 94 n. Chr. und behandeln die Geschichte der Juden von der Weltschöpfung bis zum Jahr 66 n. Chr. Quellen sind die Bibel und die Apokryphen, ergänzt durch Nachrichten aus dem Midrasch und Aussagen nichtjüdischer Historiker.

 

Bildernachweis
Alexander: http://de.wikipedia.org/ (public domain)
Ptolemaios: http://de.wikipedia.org/(public domain)
Antiochus: http://de.wikipedia.org/ (public domain)