Die Geschichte Israels

von Stefan Meißner


DIE VOR- UND FRÜHGESCHICHTE ISRAELS

6. Die Erzeltern

6.1 Das Geschichtsbild der Genesis

6.2 Einleitungsfragen

6.3 Verschiedene Ansätze zur Deutung der Frühgeschichte Israels

6.4 Die Lebensweise von Nomaden bzw. Halbnomaden

Auch wenn man heute zurückhaltender ist als noch vor einigen Jahren, wenn es um die Rekonstruktion der Patriarchenzeit geht, kann ein Vergleich der Erzvätergeschichten mit den Lebensgewohnheiten anderer (alt-)orientalischer Nomaden doch nützlich sein, um die alttestamentlichen Texte besser zu verstehen.

Als Vergleichsmaterial bieten sich ethnographische Beobachtungen bei den neuzeitlichen arabischen Beduinen an, aber auch die Auswertung des Königsarchivs von Mari (Nordsyrien) und der Nuzi-Texte (Zweistromland).

Die geschichtlich bekannten Beduinen sind reiterkriegerische Kamelhirten. Beide Attribute treffen auf die Protoisraeliten nicht zu. Dennoch können die Analogien die sozialen Verhältnisse der vorstaatlicher Zeit rekonstruieren helfen.

Buttersack
Beduinenzelt
Wassersack

Beduinen sind organisiert nach dem Prinzip der Blutsverwandtschaft. Die Gruppen sind gegliedert in:
- Stämme: Sie leiten sich jeweils von einem Urahn her, zu dem Genealogien (oft fiktive!) Verwandtschaftsbeziehungen herstellen. Angeführt wird der Stamm durch einen Scheich, der aber keine Zentralgewalt im modernen Sinn darstellt. Er ist in der Ratsversammlung der Notablen lediglich Erster unter Gleichen.
- Sippen: Sie werden zusammen geschweißt durch gemeinsames Umherziehen, immer auf der Suche nach Wasser und Weideland für die Tiere. Hier hat das Prinzip der Solidarität zwischen den Sippenmitgliedern einen hohen Stellenwert.
- Familien: Unter den Bedingungen des Beduinentums herrscht die Kleinfamilie vor.
Es herrschen patriarchalische Verhältnisse, d.h. Frauen und Kinder sind Besitz des Mannes. Polygamie war erlaubt, wenn die Besitzverhältnisse es zuließen. Das alleinige Scheiderecht lag beim Mann.

Beim Übergang zur Sesshaftigkeit lässt sich ein Trend zur Großfamilie beobachten, was die Stellung des Mannes als Familienoberhaupt noch einmal stärkte.
Land wird nun zum Privatbesitz, jedenfalls in der Moderne. In der Antike waren die Bodenanteile [hebr.: nachala, pl.: nachalot] Eigentum der Sippe, das jährlich neu ausgelost wurde.

Die Väter Israels waren eher Halbnomaden als Nomaden. Sie hielten und züchteten Kleinvieh, d.h. Schafe und Ziegen als Nutz- und Esel als Lasttiere. Wo in der den biblischen Texten von Rinderhaltung und Ackerbau die Rede ist, kann wohl schon die Sesshaftwerdung vorausgesetzt werden. Auch das Kamel spielte in der ganz frühen Zeit noch kaum eine Rolle, es ist erst seit 1100 v. Chr. in der Region nachgewiesen.

Die Mobilität der nomadisierenden Gruppen war nicht so groß wie oft angenommen. Das hat mit der notwendigen Bindung an die Weiden und Wasserstellen zu tun.
Entgegen dem romantischen Image der Nomaden als Söhne der Wüste siedelten diese gerne in der Nähe zum Kulturland. Das brachte soziale Kontakte und kulturellen Austausch mit den anderen Landesbewohnern mit sich.

Grundsätzlich ist zu unterscheiden zwischen den jährlich wiederkehrenden Weidewechseln zw. Sommer- u. Winterweide („Transhumanz“) und größeren Wanderungen aus anderen Gründen, etwa Hungersnot („Transmigration“). Für beides finden sich Beispiele in den Erzvätergeschichten

 

Empfohlene Literatur: Die Vorgeschichte Israels

Auf der Basis von schriftlichen Quellen und des archäologischen Befunds wird die Profangeschichte Syriens und Palästinas im 2. Jahrtausend v.Chr. rekonstruiert. Besonderes Interesse gilt dem geistigen und religiösen Leben, wie es sich in der Literatur der Bronzezeit spiegelt. Abschließend wird gefragt, was es bedeutet, das Alte Testament nicht als ein Buch der Geschichte, sondern als ein Buch von Geschichten - Erzählungen - zu betrachten (Auszug aus dem Klappentext)