Gemeinsames Wort der Kirchen

zum 70. Jahrestag der Deportation nach Gurs am 22. Oktober 1940

Landesbischof Dr. Ulrich Fischer
Evangelische Landeskirche in Baden

Erzbischof Dr. Robert Zollitsch
Erzdiözese Freiburg

Kirchenpräsident Christian Schad
Evangelische Kirche der Pfalz
(Protestantische Landeskirche)

Bischof Dr. Karl-Heinz Wiesemann
Bistum Speyer

 

In Scham und Reue gedenken die Kirchen in Südwestdeutschland in diesen Tagen der Deportation jüdischer Mitmenschen vor 70 Jahren nach Gurs.
Am 22. und 23. Oktober 1940 wurden am frühen Morgen über 6.500 badische, pfälzische und saarländische Juden von den Nazis festgenommen, in Züge verfrachtet und in das Internierungslager Gurs am Fuße der südfranzösischen Pyrenäen verschleppt.
Mit dieser verbrecherischen Aktion wurde jüdisches Leben in Baden, der Pfalz und im Saarland zerstört. Deutsche Bürgerinnen und Bürger wurden ihrer Heimat beraubt, nur weil sie Juden waren. Alte, Kranke, Männer, Frauen, Kinder und Babys – Gurs wurde für die jüdischen Mitmenschen aus unseren Städten und Gemeinden zum Vorhof der Hölle.
Was damals geschah, vollzog sich vor aller Augen. Als die Gauleiter Badens und der Saarpfalz ihre Gaue stolz als „judenrein“ meldeten, erhob sich kein Sturm der Entrüstung und kein wahrnehmbarer Protest. Der Freiburger Polizeibericht gab lapidar zu Protokoll: „Der Abtransport ging in aller Ordnung vor sich.“ Was bei der berüchtigten Wannsee-Konferenz 1942 auf den Begriff der „Endlösung“ gebracht wurde, hatte sich längst angebahnt. Für Tausende jüdischer Menschen endeten die Züge nach Gurs in den Vernichtungslagern von Majdanek, Sobibor und Auschwitz.

Die Schwestern und Brüder des jüdischen Gottesvolkes wurden in jenen Tagen im Oktober herausgerissen aus einem ihrer alten biblischen Glaubensfeste: Man feierte mit dem Laubhüttenfest die Bewahrung des Volkes Israels auf seinem Zug durch die Wüste, aus der Knechtschaft ins Land der Verheißung.
Die Oktobertage des Jahres 1940 verkehrten den jüdischen Freiheitszug in einen Trauermarsch von Diffamierten, Entrechteten und Ausgestoßenen - geschlagen, bespuckt und verhöhnt von vielen, die dabei waren. Christenmenschen haben während des langen jüdischen Leidensweges durch die Geschichte allzu oft geschwiegen oder die Pfade des Grauens gar zu ebnen mitgeholfen.
Auch vor 70 Jahren war das nicht anders. Tatenlos standen viele dem Geschehen gegenüber, wo entschlossenes Tun gefragt gewesen wäre; teilnahmslos dort, wo die helfende Hand nötig gewesen wäre; sprachlos da, wo der Aufschrei aus den Kirchen hätte hörbar werden müssen. Dieser Schuld stellen wir uns heute ohne Wenn und Aber. Wir verneigen uns vor jedem einzelnen der Opfer.
Im Gedenken an Schuld und Versagen in der Vergangenheit gehen die Kirchen in ökumenischer Verbundenheit Schritte der Erneuerung ihrer Beziehung zu Israel und zum Judentum, getragen von der Einsicht in die unverbrüchliche Geltung des Bundes Gottes mit seinem Volk. Die Kirchen, die zu „Gurs“ geschwiegen haben, erheben heute ihre Stimme gegen Antisemitismus und Rassismus, treten ein für die Rechte anderer und rufen auf zu politischer Wachsamkeit und Zivilcourage.

Unsere Kirchen der Pfalz und in Baden begrüßen und fördern nach Kräften Initiativen und Einrichtungen, die sich der Neugestaltung des Verhältnisses von Juden und Christen widmen. Sie unterstützen die Bemühungen aller Menschen guten Willens, das menschenverachtende Geschehen von Gurs nicht dem Vergessen zu überlassen. Hoffnungsvoll blicken wir auf die Bereitschaft vieler junger Menschen, das Wahrnehmen und Aufarbeiten der Schuld in der Vergangenheit mit einem zukunftsoffenen lebendigen Erinnern an Israels Gegenwart zu verbinden. Dafür steht als Beispiel das „Ökumenische Jugendprojekt Mahnmal“.
Möge das Gedenken an Gurs im Jahre 2010 ein Meilenstein auf dem Weg zu gegenseitiger Achtung, Respekt und Geschwisterlichkeit zwischen jüdischen und christlichen Menschen werden.

Sha‘alú sh’lóm Jerushalájim – so lauten die Worte aus Psalm 122:
„Erbittet Frieden für Jerusalem! Wer dich liebt, sei in dir geborgen. Friede wohne in deinen
Mauern, in deinen Häusern Geborgenheit.“

Unterschrieben von:

Landesbischof Dr. Ulrich Fischer
Evangelische Landeskirche in Baden
Erzbischof Dr. Robert Zollitsch
Erzdiözese Freiburg
Kirchenpräsident Christian Schad
Evangelische Kirche der Pfalz
(Protestantische Landeskirche)
Bischof Dr. Karl-Heinz Wiesemann
Bistum Speyer

01.07.2010

 

Bildquellen:
Schad: http://www.kirchen-in-kl.de
andere Bilder: wikipedia commons