Verbundenheit mit den Menschen im Staat Israel gezeigt.

Delegiertenversammlung der KLAK tagte in Jerusalem

von Hans Jürgen Müller

Frau Dr. Ayalla Schwartz im Kreis der KLAK-Delegierten

Im Januar 2003 hatte die Delegiertenversammlung der Konferenz Landeskirchlicher Arbeitskreise "Christen und Juden" (KLAK) beschlossen, im Jahr 2004 das jährliche Zusammentreffen nicht wie sonst stets in Berlin, sondern in Jerusalem stattfinden zu lassen. Motiv für diese Entscheidung war, der Bevölkerung in Israel unsere Verbundenheit in einem Alltag zu zeigen, der immer wieder durch Terroranschläge mit schrecklichen Folgen geprägt ist. Aber auch Menschen in Palästina sollten besucht werden in einer Situation, der die üblichen Touristenströme ausbleiben. Es ging und geht uns darum, den Bekenntnissen zahlreicher kirchlicher Erklärungen Taten folgen zu lassen. Trotz der Tatsache, dass die Delegierten die Mehrkosten aus eigener Tasche bezahlen mussten, waren in Jerusalem nahezu alle landeskirchlichen Arbeitskreise vertreten, 36 Einzelpersonen aus 18 Landeskirchen.

Vorweg sei hier gesagt, was wir so auch vorher eingeschätzt hatten: Reisen nach Israel sind möglich, wünschenswert, verantwortbar und in jedem Falle eine große Bereicherung für die eigene religiöse Identität und die politische Beurteilung des Konfliktes zwischen Israel und den Palästinensern. Wer Israel besucht, dort mit Menschen zusammentrifft und die Augen offen hält, wird sehen und erleben, dass das durch die Medien vermittelte Bild von Israel als einem hochexplosiven Krisengebiet zumindest überzogen ist.

Projekte und Experimente – eine andere Wahrnehmung der Situation in Israel und Palästina

Gespräche mit Menschen in dem Land haben uns deutlich gemacht, wie unterschiedlich wir von Europa aus den Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern im Vergleich zur Wahrnehmung der Israelis selbst sehen. Durch unsere Medien erscheint Israel als der martialisch gerüstete, Gewalt provozierende Goliat, die Palästinenser hingegen als der schwache, der Willkür ausgelieferte David. In Israel werden die Konfliktparteien in umgekehrter Weise wahrgenommen: Israelis sehen sich mit ihrem kleinen Landstrich entlang des Mittelmeeres eher in der Rolle des David, bedroht von großen arabischen Ländern, die in der Regel keine demokratischen Strukturen kennen und zum Teil Gewalt gegen Israel offen oder versteckt unterstützen. Als großes Problem wird ebenso gesehen, dass auf palästinensischer Seite nur unzureichend zuverlässige Gesprächspartner zur Verfügung stehen. Während unseres Aufenthaltes konnten wir dies sehr direkt erleben. Das Attentat auf den Stadtbus in Jerusalem am Donnerstagmorgen verübte ein Polizist der palästinensischen Autonomiebehörde.

Dr. Johannes Gerster, Adenauer-Stiftung
Dr. Yaakov Guggenehim, Hebrew-University

Erfrischend und für manche Debatte in Deutschland/Europa wegweisend, waren sehr klare Worte des Länderbeauftragten der Konrad-Adenauer-Stiftung, Dr. Johannes Gerster: Mit jemandem, der glaubt, er müsse unbedingt herausfinden, wer am Nahostkonflikt die Schuld trage, brauche man eigentlich nicht weiter zu diskutieren.
Solche Gespräche seinen unfruchtbar und brächten eine Lösung des Konflikts nicht näher. Statt auf die Frage nach Schuld bzw. danach, wer Recht habe, zu schauen, sei es wichtig, den Blick auf das zu richten, was an positiven Ansätzen da sei, z. B. darauf, dass untergeordnete Delegationen von israelischer und palästinensischer Seite ihre Konsultationen auch während der Intifada II fortgeführt haben, oder auf Projekte wirtschaftlicher Zusammenarbeit, z. B. ein Projekt der Getränkeindustrie: In Gaza wird der Inhalt produziert und in Flaschen gefüllt, die aus Israel geliefert werden, anschließend geht das fertige Produkt wieder nach Israel. Auf diesen Ebenen wird beiden Seiten deutlich, dass es eine Zukunft nur mit dem anderen gibt. An diesen Punkten Einfluss zu nehmen, Hilfestellungen zu geben, darin sieht Dr. Gerster eine Aufgabe seiner Tätigkeit in Israel.

Ganz ähnlich, aber von einer theologisch-philosophischen Sicht her, drückt das Pfarrer Jadallah Shehade aus, wenn er sagt: „Das Glück des einen Volkes hängt vom Glück des anderen Volkes ab.“ Shehade ist Leiter der in Beit Jalla neu eröffneten „Abrahams Herberge“, die wir besuchten und dort Christinnen und Christen in den besetzten Gebieten begegneten.
Der Besuchstag (Donnerstag, der 29. Januar) stand unter dem Zeichen des Attentats auf den Stadtbus und der Trauer über die inzwischen 11 Toten und fast 50 verletzten Menschen. Wir spürten sogleich die Auswirkungen des Attentats. Etwa eine dreiviertel Stunde nach dem Attentat konnten wir mit unserem Bus den Checkpoint auf der Straße von Jerusalem nach Bethlehem nicht mehr passieren. Die Ortskundigen unter uns konnten die Gruppe dann doch noch nach Beit Jala führen. So sehr dabei der Terror einerseits, die militärische Besatzung andererseits präsent wurden, so wichtig war es dann auch, die nun fertige Abrahamsherberge zu sehen und dort auch von der Arbeit des Arab Educational Institute (AEI-Bethlehem) zu hören.

Wiederum rückte nicht die Klage über die langanhaltende schwierige und angespannte Situation in den Mittelpunkt, sondern das, was an zukunftsweisenden positiven Ansätzen von der Gemeinde angesichts des Konflikts getan wird. Pfarrer Shehade erzählte von seiner Arbeit mit Jugendlichen, davon, wie die Gemeinde versucht, christliche und muslimische Jugendliche von der Straße zu holen. So fand 2003 ein Musik-Workshop statt, in dem christliche und muslimische Jugendliche eine Woche lang zusammen waren und gemeinsam Musik machten. Am Ende jener Zeit wurde ein Gottesdienst gefeiert, in dem die Jugendlichen vorstellen konnten, was sie während der Woche getan hatten. Sie schmückten sich mit einem Palmzweig (es war Palmsonntag), einer der muslimischen Jugendlichen steckte sich auch solch einen Palmzweig an und meinte auf Nachfrage, dass er eben ein 'christlicher Muslim‘ sei. Jadallah Seihade betonte, dass es nicht darum ginge, aus Muslimen Christen zu machen, dass dieser Satz des Muslim aber ein Zeichen für gelingende Integration sei, die Unterschiede nicht wegwische, aber das Gefühl der Einheit für gemeinsame Aufgaben stärke. Abrahams Herberge soll zukünftig der Ort sein, an dem derartige Begegnungen häufiger stattfinden können und sollen, möglichst mit jüdischer Beteiligung. Doch das ist zur Zeit eher Wunsch denn Realität.

Die Delegation des Arab Educational Institute stellte uns die Geschichte des Instituts vor, dessen Ziele und ein Projekt, das in Kontakt mit israelischen Schulen entwickelt wurde. Das Projekt sowie die gesamte Arbeit des Instituts ziele auf Friedenserziehung. Für das Projekt mit dem Titel „Gemeinsam im Heiligen Land leben unter Anerkennung der Differenzen“ wurden drei Unterrichtseinheiten entwickelt: eine zu den drei abrahamitischen Religionen, eine zu dem Thema Barmherzigkeit und Gerechtigkeit in den drei Religionen, eine zur Bedeutung des Landes in diesen Religionen. Wieder ein Beispiel – hier nun von palästinensischer Seite – für den Versuch, ein gedeihliches Zusammenleben anzustreben und dafür auch konkret etwas zu tun. Dies immer wieder wahrzunehmen, davon zu erzählen, bleibt Aufgabe, auch wenn wir bei unserer Rückkehr von der anderen Realität des Konflikts eingeholt wurden. Wir mussten Beit Jala überstürzt verlassen, weil sich das Gerücht ausbreitete, dass der Attentäter aus Beit Jala gekommen sei. Eine daher zu erwartende Ausgangssperre hätte uns den Rückweg schwierig gemacht.

Wie unterschiedlich weite Teile der israelischen Bevölkerung einerseits und Europäer andererseits – zumindest im Hauptstrom der Meinungen – denken und fühlen, das konnten wir par excellence bei einer Besichtigung der Mauer, des Zaunes oder Trennwalles, wie immer das Gebilde benannt werden soll, erleben. Auf Wunsch einiger aus der Gruppe fuhr unser (israelischer) Bus dorthin, bzw. genauer: machten sich Busfahrer und Reiseleiterin auf die Suche nach der Mauer. Als wir sie bei Abu Dis erreichten, stiegen wir aus und unter unserer Gruppe entbrannte eine emotional so heftige Diskussion über den politischen Sinn der gewiss 8-10m hohen Mauer, dass die Reiseleiterin uns schnell wieder zurück in den Bus beorderte. Dann verdeutlichte sie, warum viele, auch links-stehende Israelis, für den Bau der Mauer sind. Nach dem Anschlag, den wir einen Tag zuvor erlebt hatten, war das Argument
des Verlangens nach Sicherheit nicht einfach abzutun. Freilich bleibt die Frage, ob diese notwendige, so sehr gewünschte und zu wünschende Sicherheit mit dem Bau des Sicherheitszaunes wahrscheinlicher wird oder ob nicht vielmehr politisch ein größerer Scherbenhaufen angerichtet wird.

Junge Israelis in einem Park
Warten am Checkpoint

 

Israels Politik: Die Intifada als alleiniges Thema

Am 27. Januar, in Deutschland seit 1996 Gedenktag für die Opfer des National-sozialismus, jährte sich zum 59. Mal der Tag der Befreiung von Auschwitz durch die Rote Armee. An diesem Tag besuchten wir die Gedenkstätte Yad Vashem. Welche Rolle spielt der Holocaust im öffentlichen Diskurs in Israel, so lautete eine unserer Fragen, zu deren Beantwortung wir David Witzthum, den Chef der Auslands-berichterstattung der Israel Broadcasting Association (TV), eingeladen haben. Er entfaltete zunächst, wie der Holocaust Ende der 70er, Anfang der 80er Jahre in der Regierungszeit von Menachem Begin in den Mittelpunkt der politischen Diskussion und gemeinsamen Erinnerung rückte, wie sich die Einstellung zu ihm wandelte, von einer nationalen Aufgabe hin zu einem politischen Gegenstand, der als Schicksal angesehen wurde, das alle Juden eint. Spätestens seit dieser Zeit verlaufen die Bruchlinien in der israelischen Gesellschaft nicht mehr zwischen links und rechts, sondern zwischen Gruppen unterschiedlicher ethnischer Herkunft. Linke Intellektuelle waren z. B. bereit, mit dem Rechtspolitiker Begin aufgrund dessen Einstellung zum Holocaust Übereinstimmung zu zeigen, alle anderen Trennlinien zu ihm verschwanden dahinter.
Mit der zweiten Intifada entschwindet der Holocaust zunehmend ins Unter-bewusstsein der Gesellschaft, und die Intifada mit dem Terrorismus, dem Mauerbau und dem wieder neu auflodernden Antisemitismus in Europa wird zum beherrschenden Thema. Begleiterscheinung dieser absoluten Vorrangstellung eines einzigen innenpolitischen Themas ist der Ausfall eines politischen Diskurses in Israel; eine politische Linke, so Witzthum, sei von der politischen Landkarte in Israel verschwunden. Scharon ist programmatisch nicht greifbar, er vertritt hier linke Politik (Mauerbau, Schaffung eines Palästinenserstaates), an anderer Stelle – besonders im wirtschaftspolitischen Bereich – eine neoliberale Politik, wieder an anderen Stellen erzkonservative Politik. Insgesamt zeichnete Witzthum ein düsteres Bild. Wo und wofür israelische Politik augenblicklich stehe, darüber bestehe eine tiefe Ratlosigkeit; das bedeute in der Folge, dass die verschiedenen gesellschaftlichen Diskurse, wie Holocaust, wie ethnische Trennlinien völlig lahmgelegt seien.

Die Bedeutung des Landes in den drei Religionen

Einen Studientag widmeten wir der Frage, welche Bedeutung das Land in Judentum, Christentum und Islam hat. Hierzu waren Frau Dr. Ayalla Schwartz, Religionsphilosophin und Initiatorin des Programms „Religious study as a forum of civil dialogue“, Dr. Mohammed Khourani, Islamwissenschaftler und Mitarbeiter am Hartmann-Institut, und Dr. George Khoury, Psychologe, melkitischer Priester und ehemaliger Vorsitzender des christlichen Gerichts in Nazareth, eingeladen. Mit Textstudium, Referat und Gespräch haben die Referenten versucht, ihre jeweilige Position zu vermitteln. Ohne auf die einzelnen Inhalte näher einzugehen, erscheinen mir zwei Punkte erwähnenswert. In den entfalteten Positionen wurden Ähnlichkeiten zwischen jüdischem und muslimischem Konzept der Antwort nach der Bedeutung des Landes deutlich; für beide hat die Heiligkeit des Landes mit Abraham zu tun. Überraschend war die Deutung einer muslimischen Quelle. Als Mohammed von den Engeln eingeladen wurde, von Mekka nach Jerusalem zu reisen, traf er sich dort mit anderen Profeten, u. a. mit Isaak und Jesus, alle zusammen halten sie ein interreligiöses Gebet. Sie stellten dabei fest, dass Jerusalem, insbesondere der Platz um den Tempel, ein religiöser Ort für alle sei, konkurrenzfrei. Dr. Khoury als christlicher Vertreter betonte, dass in der christlichen Tradition der Mensch und die Menschen-würde eine höhere Bedeutung habe als das Land. Bedeutsam erscheint mir, dass Dr. Khoury als arabischer Christ davon reden konnte, dass Gott sein Volk Israel erwählt habe und bleibend zu dieser Erwählung stehe.

Dr. Michael Krupp knüpfte bei der Vorstellung der Israel Interfaith Association am Samstag Abend noch einmal an diese Thematik an, als er herausstellte, welch wichtige Rolle die Religion seiner Meinung nach für den politischen Prozess spielt. Nur wenn sich die Auslegungstraditionen durchsetzen, die in den jeweiligen Religionen die Versöhnungslinien herausarbeiten, habe Frieden eine Chance. Die Hauptprobleme und Bruchlinien liegen dabei zwischen Christen und Muslimen einerseits und zwischen Juden und Christen andererseits. Die theologischen Probleme sind zwischen diesen beiden Paaren zum Teil gravierend, zwischen Juden und Christen kommt noch der palästinensisch-israelische Konflikt hinzu.

Für die interreligiöse Arbeit wurde die Arbeit durch die zweite Intifada erheblich erschwert. Für Palästinenser ist die Einreise nach Israel oftmals nicht möglich, Israelis dürfen umgekehrt nicht in die besetzten Gebiete, da für sie die Gefahren in diesen Gebieten zu groß sind. Der interreligiöse Dialog lebt heute in starkem Maße von Kontakten, die vor der Intifada entstanden und die auch erhalten geblieben sind.

Shaare-Zedek-Krankenhaus
Modell-Schule Nissui in der Rechov Akiva

Besuche

a) Konrad-Adenauer-Stiftung
Ein Ereignis der besonderen Art war für die Delegiertenkonferenz der Empfang bei der Konrad-Adenauer-Stiftung. Im Rahmen einer Podiumsdiskussion zum Thema „Antisemitismus in Deutschland heute – eine israelische und eine deutsche Sichtweise“ wurden die Delegierten der KLAK eigens vor einem Publikum von ca. 350 Personen begrüßt und lobend erwähnt, dass sie die Konferenz in Jerusalem abhalten. Auf diese Weise wurde der Besuch und das Motiv des Besuches, den Menschen in Israel und den besetzten Gebieten Solidarität zu zeigen, zumindest einer kleinen Öffentlichkeit in Jerusalem bekannt gemacht. Die Diskussion selbst, die ganz in deutscher Sprache geführt wurde, blieb in eher bekannten Gleisen, strittig war unter den Podiumsteilnehmern/in, ob klar und eindeutig benennbar ist, wo Antisemitismus beginnt. Prof. Dr. Moshe Zimmermann bejahte dies, während die anderen Vertreter auf dem Podium (Ricklef Münnich, Hanna Lehming, Dr. Michael Krupp) mit einer klaren Antwort eher vorsichtig waren. Eine hitzige Diskussion entbrannte unter den zum größten Teil der deutschen Sprache mächtigen Teilnehmenden über die Frage, inwiefern die israelische Politik mit verantwortlich gemacht werden könne für einen neuen Antisemitismus in Europa bzw. ob dieser durch Kritik an der Politik Israels geschürt werde.

b) Evangelische Gemeinde zu Jerusalem
Zu einem Gespräch mit dem Pfarrer für Pilger- und Touristenseelsorge, Rüdiger Scholz, waren wir in den Gemeindesaal der Propstei und Erlöserkirche in der Jerusalemer Altstadt eingeladen worden. Pfarrer Scholz berichtete von der aktuellen Tätigkeit, die geprägt sei von den massiv zurückgegangenen Reisen von Touristen nach Israel. Er stellte heraus, dass die Gemeinde einerseits der arabischen-lutherischen Kirche (ELCJ) verpflichtet sei, andererseits auch am jüdisch-christlichen Dialog festhalte. So sei es ein fester Programmpunkt im Gemeindeleben, einmal im Monat mit einem Rabbiner am Sonntagnachmittag einen Abschnitt der Schrift zu studieren. Um diesen Spagat weiterhin aufrecht erhalten zu können, sei es wichtig, dass der die Auslandsgemeinde mit dem deutschen Propst der EKD unterstellt bleibe und nicht dem Bischof der Evagelisch-Lutherischen Kirche von Jordanien (ELCJ), wozu Jerusalem gehört. Unmittelbar vor dem Rückflug am Sonntag besuchten die Delegierten noch den Gottesdienst in der Erlöserkirche.

c) Haus Pax
Einige der Delegierten waren zu früherer Zeit selbst Freiwillige von Aktion Sühnezeichen in Israel oder waren durch ihre frühere Tätigkeit anderweitig mit Aktion Sühnezeichen verbunden. Das legte einen Besuch im Haus Pax in der Rechov Ein Gedi nahe. Sabine Lohmann, die dortige Studienleiterin, empfing unsere etwa 10-köpfige Delegation und berichtete über die Struktur des Freiwilligendienstes. Derzeit sind 15 Freiwillige in Israel. Zur Hälfte der Arbeitszeit sind sie im sozialen Bereich tätig (Betreuung von alten Menschen, Mitarbeit in Behnderteneinrichtungen), zur anderen Hälfte in Yad Vashem oder vergleichbaren Instituten. Särkeres Gewicht will man darauf legen, den Freiwilligen Kontakte zu Gleichaltrigen zu verschaffen. So berichten sie z. B. vor oder nach dem Jom haShoa in Schulen von ihren Motiven, in Israel zu arbeiten. Durch die Änderung des Zivildienstgesetzes steht Aktion Sühnezeichen vor der Herausforderung, ein neues Freiwilligenprofil zu erstellen.
Mit besonderer Spannung haben wir dann auf die Besichtigung des fortgeschrittenen Rohbaus der Begegnungsstätte gewartet. Über die inhaltliche Konzeption der Begegnungsstätte muss noch heftig diskutiert werden. Ganz grundlegende Fragen müssen geklärt werden, so für wen das Haus sein soll: sicherlich für Begegnungen, aber eben zwischen wem? Soll es in erster Linie ein Haus für deutsche Gruppen sein? Oder ein Ort, an dem sich Palästinenser und Israelis treffen können; aber welche Palästinenser, welche Israelis? Wie soll es mit der Küche gehalten werden; soll diese koscher geführt werden?

d) Krankenhaus Shaare Zedek
Parallel zum Besuch des Haus Pax fuhr eine andere kleine Gruppe zum Kranken-haus Shaare Zedek, das vom Denkendorfer Kreis finanzielle Unterstützung erhält. Das Krankenhaus wurde durch eine Deutsche Stiftung „Allgemeines jüdisches Krankenhaus Schaare Zedek“ im Jahr 1902 ins Leben gerufen. In den Jahren seines Bestehens wurde es immer wieder erweitert – und verfügt heute u. a. über eine weltweit anerkannte Herzstation und über die wichtigste Notfallambulanz in Israel (die derzeit völlig neu gebaut und erheblich erweitert wird). Dramatisch war, dass der renommierte Leiter dieser Ambulanz im vergangenen September durch einen Terroranschlag im Cafe Hillel ums Leben kam (zusammen mit seiner Tochter, die am folgenden Tag heiraten wollte). Für die Erweiterungen und Neubauten ist Shaare Zedek auf Spenden angewiesen!

e) Besuch der Modell-Schule Nissui in der Rechov Akiva
Durch das Attentat auf den Bus am Donnerstag, bei dem der Hausmeister dieser Schule getötet wurde, musste der ursprünglich für Freitagvormittag geplante Besuch auf Sonntagvormittag verschoben werden. Gleich im Eingangsbereich finden wir zwei Todesanzeigen an der Pinnwand angeheftet, gegenüber Texte und Bilder der Schülerinnen und Schüler. Der Schulleiter erklärte uns, dass unmittelbar nach der Todesnachricht kein Unterricht möglich war, dass man aber am Freitagmittag bewusst wieder versucht hat, den Unterrichtsbetrieb aufzunehmen, um wieder zum Alltag zu gelangen.
Im Mittelpunkt der Nissui-Schule in der Rechov Akiva stehen die Schülerinnen und Schüler, nicht der zu unterrichtende Stoff. Sie sollen gerne in die Schule kommen und Eigeninitiative entwickeln. Diesen beiden grundlegenden Zielen entspricht, dass die Schüler selbst bestimmen, in welchem Tempo sie lernen und welche Inhalte für sie wann wichtig werden. Die Schule umfasst alle Altersstufen: Kinder im Kindergartenalter bis hin zu Jugendlichen, die ihr Abitur machen. Im Kindergartenbereich gibt es z. B. die Möglichkeit, von einer Spielecke hin zu einer Ecke zu wechseln, wo sie Mathematik lernen oder wo sie lesen und schreiben lernen. So werden fließende Übergänge geschaffen, anstelle von Noten gibt es ausformulierte Beurteilungen und
Einschätzungen der Lehrerinnen und Lehrer. Zu diesem pädagogischen Konzept passt, dass die Schule offen ist für behinderte Kinder. Autisten sind zunächst in einer kleinen Gruppe, wo sie intensiv gefördert werden, um dann in ‚normale‘ Klassen-verbände zu gehen.

f) Studium in Israel
Der neue Studienleiter von Studium in Israel, Andreas Wagner, kam mit fünf von den in diesem Jahr in Jerusalem studierenden sechs deutschen Theologiestudenten des Studienprogramms in unser Hotel. Neben dem Kennenlernen bekamen wir eine erfreuliche Nachricht mit auf den Weg. Andreas Wagner arbeitet an einem Konzept für ein ca. 3-4 Monate dauerndes Studium in Israel für Pfarrerinnen und Pfarrer im Dienst. Ist das nicht die Gelegenheit, wenigstens einen Bruchteil dessen nachzuholen, was manche/r noch nicht hat tun können?!

Dieser Bericht umfasst einige wichtige Stationen der Delegiertenversammlung der KLAK, hat zwangsläufig auch viel weg gelassen: Spaziergänge durch die Altstadt, Einkaufen und das damit verbundene Feilschen in der Altstadt, die sehr gute Führung durch das Jerusalem des 19. Jahrhunderts durch die hervorragende Reiseleiterin Anne Jarck, die vielen informellen Gespräche unter den Delegierten, um nur einige weitere Punkte zu benennen.
Die Reise machte zahlreiche Begegnungen möglich, eröffnete neue Sichtweisen und kann hoffentlich dazu helfen, dass wir als Teilnehmende mit unseren nun frischen Erfahrungen das bei uns verzerrte Israelbild zurecht rücken und ermutigen, in das Land zu reisen. Es kommt allen zu Gute: den Reisenden, der jüdischen Bevölkerung, der palästinensischen Bevölkerung

Hans-Jürgen Müller
(mit einigen Anregungen von Alexander Deeg und Ricklef Münnich)