Yasser Arafat - Ein Leben für Palästina

von Sumaya Farhat-Naser

Photo: Stefan Meißner
Schlusselanhänger aus El Quds (= arab. Name für Jerusalem)


Die ganze Welt stand in Sorge, beobachtete, begleitete wartend darauf, was wohl mit und nach Arafat wird. Ein halbes Jahrhundert repräsentierte er Palästina und bestimmte den Weg. Er ist Symbol für Identität und Heimat, für Treue, Hin- und Opfergabe geworden. Sein Ziel war das Ziel seines Volkes: ein freies Palästina. Am Herzen und in der Seele, auf den Schultern und in den Händen trug er die Pflicht der Befreiung und Unabhängigkeit. Die Katastrophe Palästinas im Jahr 1948 resultierte in Heimatlosigkeit, Vertreibung und Verstreuung der Palästinenser in die ganze Welt. Die Besatzung im Jahr 1967 brachte weitere Vertreibung und Verelendung. Durch Unterdrückung, Demütigung, Folterung und Entrechtung sollte der Traum der Palästinenser erlischen. Arafat hat diesen Traum wach erhalten. Die palästinensische nationale Identität hat sich formiert und kristallisiert, und internationale Anerkennung erlangt.

Er war ein Freiheits- und Widerstandskämpfer, der hartnäckig und beharrlich sein Ziel anstrebte. Er bewegte sich wie ein Akrobat, handelte teils im Einklang der politischen Systeme, die ihn und die Palästinenser duldeten, aber wenn nötig, hat er rebelliert und Widerstand geleistet. Ein Künstler im Überleben, ein Führer, der seinem Volk Würde und Mut vermittelte. Er war, der die Anerkennung Israels erreichte und seinem Volk überzeugte, das der Friede mit Israel gemacht werden kann und werden muss. Er ist Realist geworden.

An diese Symbolfigur klammerte man sich, weil die Palästinenser viel zu viel verloren haben, nicht auch das noch! Sie halten an ihm fest, auch wenn er so viele Fehler machte, und selten bereit war zu zuhören, wenige andere mitentscheiden liess. Er wollte allein alles bewältigen, alles Kontrollieren. Zu viele Enttäuschungen und Verrat hat er erlebt. Als Patriarch war er der Vater und der Bruder, der Älteste und Bestimmende. Die patriarchalische Denkweise erschwert das Eingeständnis, dass der Patriarch sich irren kann, und wenn schon, dann muss dennoch die Loyalität
bleiben.

Wie kein anderer politischer Führer der Welt, hat Arafat so viele Probleme und Hindernisse in seinem Leben begegnen und bewältigen müssen. In Jordanien, Libanon, Syrien, Tunesien und in Palästina schwankte er zwischen geduldet und verjagt zu sein, und mit ihm die Palästinenser. Der gewählte Präsident von Palästina musste die letzten 30 Monate seines Lebens in zwei Zimmern, unter Hausarrest ausharren. Der gewählte Präsident sollte gelähmt werden und in diesem Zustand für alles Übel verantwortlich gemacht werden. Er war benutzt, damit die israelische Politik, Fakten am Boden schafft, die Mauer und damit die Landnahme manifestiert und die Verhandlungen blockiert. Sein Volk sollte ihn disqualifizieren und beseitigen, um mit ihm den eigenen Traum zu zerstören. Je mehr das beabsichtigt wurde, umso mehr erwachte die Solidarität und das Mitgefühl, umso mehr empfanden wir, dass der Beistand zu Arafat ein Teil unseres Kampfes für Selbstbestimmung ist. Wir allein entscheiden über unsere politische Gegenwart und Zukunft, und
wollen es durch demokratische Prozesse schaffen. Arafat sollte eingehen, womöglich durch seine eigenen Leute. Das wäre die Rache. Aber je mehr die israelische Führung das anstrebte, desto mehr gewann er an Beistand, und politisch gerieten wir in Dilemma. Die Sicherheitssysteme waren vom Militär zerstört, normales Regieren und Kontrollieren war nur begrenzt möglich. Das Leiden durchzieht alle Lebensbereiche, Wirtschaft, Gesundheitswesen und
Erziehung. Behindert und blockiert ist der Alltag durch Sperren, Mauern und Militärverordnungen, die jeden Aspekt des täglichen Lebens destruktiv bestimmen. Wir fühlen uns wie erwürgt.

Seit Jahren sehnen sich die Palästinenser nach positiver Entwicklung. Denn sie sahen die Fehler, verabscheuten das Verhalten vieler politischen Verantwortlichen, erkannten Korruption und wollten gesunden politischen Aufbau. Die geltende Rechtsstruktur ist ein Gemisch von Revolution, Besatzungsbestimmungen und erste Anfänge von Gesetzen und Rechtwesen des Staates Palästina. Eindeutige Herrschaft des Gesetzes gibt es nicht. Das erschwert effektive Reformen, erst recht nicht, wenn der Widerstand auf grausamer Weise sich steigert und schwer zu kontrollieren ist. Auch wenn Raketen und Panzer der Besatzung gezielte und ungezielte Tötung, Hauszerstörungen tausender Familien systematisch vollzieht. Wo gibt es in der Welt, dass die herrschende Macht die Häuser der Bürger einfach auslöscht?

Die Palästinenser haben sehr viel verloren, nicht auch noch Arafat, wollten sie verlieren. Sein Tod hat deswegen Trauer und Bitterkeit wie auch Gefühle des Verlustes und des Verloreneins, so übermassig aufkommen lassen. Zugleich atmeten die Menschen auf, denn sie sehnen sich nach einer neuen Ära. Eine junge Palästinensische Führung, die der erausforderungen gewachsen ist, wäre am Platz. Sie muss den Zugang bekommen, um die Enttäuschungen der Menschen durch Aufrichtigkeit und Durchsichtigkeit das Regieren zeigt. Die alte Führergeneration als Übergang ist unvermeidlich, denn sie weiss was verhandelt wurde, wo sind die Blockaden, hat Verhandlungserfahrung gesammelt, aber auch sie weiss das Versteckte, das enthüllt werden müsse. Das trifft vor allem die Finanzen. Die jüngere politische Führung von allen politischen Parteien, sass und sitzt immer noch in israelischen Gefängnissen. Mit einander diskutieren und Verhandeln haben sie gelernt, und diese Erfahrung ist vom grossen Wert, um eine interne Einigung erzielen zu könnten und die, die Gesellschaft retten würde. Sie ist aufrichtig und geniesst das Vertrauen der Menschen. Die Freilassung der politischen Gefangenen ist die Notwendigkeit für das Gelingen einer positiven Änderung. Sie müssen die politische Zukunft mitgestalten, weil sie die Bevölkerung überzeugen und Hoffnung beleben könnten. Sie müssen bei den Wahlen am 9.Januar 2005 eingeschlossen sein. Ferner muss das Sicherheitssystem funktionieren dürfen. Die Polizisten müssen Uniform und Waffen tragen dürfen, damit sie ihre Autorität ausüben können und so Kontrolle und Sicherheit ermöglichen. Wir brauchen Schutz vor Militärangriffe und wir brauchen freie Bewegung. Die Sperren müssen aufgehoben werden, und Bewegungsfreiheit muss gesichert sein, damit der Alltag wieder normal wird.

Eine neue Ära beginnt, und es gibt keinen Vorwand mehr, das Ende der Besatzung und Schaffung des Palästinas Staat entsprechend der Internationalen Legitimität und den unterschrieben Verträge zu verwirklichen.

In meiner Familie haben uns gute Ereignisse beglückt: Mein Sohn Anis kam nach Abschluss des Studiums in Innsbruck Heim. Er begann das Trainingsjahr in Ramallah Kliniken und Hospital. Ganz Birzeit und Umgebung freuten sich mit uns. Sie kamen gratulieren mit Blumen und Geschenke und wollten sich Hoffnung schaffen, dass ihre gebildeten Söhne und Töchter eines Tages zurückkommen würden. Probleme des sich wieder einleben sind enorm, doch er bewältigt sie Stück für Stück. Die Kraft dafür findet er in der tiefen Liebe zum Land und zu den Menschen und in der Verantwortung, die er
empfindet. Welch ein Segen für uns alle.

Im Sommer kamen viele Verwandte aus dem Ausland. Täglich kochten wir für 20 Personen. Wir haben viel berichtet, ausgetauscht, gelacht, und wir feierten gemeinsam die 18 Hochzeiten im Ort. Es war wie ein Dauerfestival. Wir müssen die Kunst aufbringen, für Momente, das Schwere aus zu blenden und das Schöne und erfreuliche, bewusst erkennen und wahrnehmen. Nur so können wir die schwere Zeit verkraften.

Wir sind froh und dankbar weil der Bräutigam meiner Tochter, nach zwei Jahre haft entlassen wurde. Er war im Wüstengefängnis- Negev. Es war eine Nerven - Säge für uns alle: alle drei Monate zu hoffen, dann doch die Haftzeit zu verlängern um weitere drei Monate, ohne Urteil oder Anklage. Er muss sich nun medizinisch behandeln lassen, denn er hat viele Leiden: Rücken-, Kopf- und Gelenkschmerzen, Schlaflosigkeit, Müdigkeit, Kraftlosigkeit und Ängste. Er muss sich in der Gesellschaft wieder finden. Er sucht immer noch nach Arbeit, und die ist schwer zu bekommen. Erst nach etwas psychischer Erholung kann die Hochzeit im Sommer 05 gefeiert werden. Darauf freuen wir uns.

Bildung und Friedensarbeit

Meine Arbeit mit den Jugendlichen und Frauen in Palästina macht viel Freude, und gibt Kraft. Sie haben zwei Monate Ferien, dürfen sich aber nicht bewegen, kennen weder Urlaub noch Ausflug. Wir lernen zu überleben und mit einander zu leben. Wir lernen unsere Probleme ansprechen und nach Lösungen suchen, und trotz dem das Leben lieben, unsere Menschlichkeit bewahren und würdigen. Wir lernen voll zu trauern, aber auch vom Herzen zu lachen, denn wir wollen Verantwortung tragen können. Das ist die Basis für den eigenen inneren Frieden, der den Frieden mit den anderen ermöglicht. Mehr als 60 Begegnungen mit sechs Gruppen haben wir gehalten während des Jahres. Es war sehr intensiv und anstrengend, aber das Mitarbeiten der Jugend, ihr Ernst und Beharrlichkeit an einem Strang der Hoffnung sich anzuklammern, ihre Suche nach Freude und dem normalen Leben, inspirieren zur Kreativität und zur Kraftschöpfung. Eine Zufriedenheit, die das Überleben ermöglicht. In der Schweiz und in Deutschland habe ich sieben Seminare organisiert und durchführen können mit dem Thema: Gewaltfreie Kommunikations- und Dialogfähigkeiten.
Ziel und Erwartungen der Seminare sind:

Absicht der Seminare ist es, Wege aufzuzeigen, uns selber zu verstehen und zu stärken. Das kann geschehen, indem wir an die schönen Dinge in Palästina denken: den Duft der Erde, die Olivenbäume, die Blumen, die Wärme und Liebe der Menschen ...und uns darauf besinnen: So wie Gott mich geschaffen hat, bin ich wunderbar und werde die Schwierigkeiten meistern. Dazu gehört auch sich einzugestehen, dass wir noch zu lernen haben, um unsere Performance in der Kommunikation zu verbessern. Dazu gehört außerdem, in sich hinein zu schauen und darüber zu sprechen, was wir Palästinenser nicht unbedingt gewohnt sind.

Die patriarchalisch strukturierten Familien und Gesellschaften, in denen wir sozialisiert wurden, erzeugen ein Gefühl der Ohnmacht. Wir müssen uns damit auseinander setzen um uns zu befreien. Aber wir haben durchaus Möglichkeiten, unser Bild zu beeinflussen, und wir sind auch verpflichtet, das zu tun. Dafür sollten wir uns das Rüstzeug für eine erfolgreiche Kommunikation mit der eigenen Gesellschaft und mit der deutschen/westlichen Gesellschaft aneignen. Wir müssen ihre Gesellschaft und Lebensweisen verstehen wollen, das Gute daraus lernen und das für uns Unpassende stehen lassen.

"Wie diskutieren wir" Der Tonfall aber auch die Gestik bei einer Kommunikation ist zu bedenken. "Wie beruhige ich mich bevor ich reagiere" Vom Guten in mir ausgehen, das Gute in den anderen ansprechen, mich beruhigen und dann überlegt Argumente vorbringen, mit der Absicht bei den Anderen an zu kommen, ihr Vertrauen zu gewinnen. Das ist nicht immer
einfach bei einem Thema, das die eigene persönliche Geschichte besonders emotional aufwühlt. Ein solches Verhalten ist aber erlernbar und trainierbar. Man muss es nur wollen. Jeder und jedem möchte ich ermutigen sich zu sagen:
Ich weiss, dass ich, wir, tief Verletzt sind, unsere Herzen mögen gebrochen sein. Ich trauere und fühle mich schlecht. Das ist normal. Allerdings, muss ich mir sagen: Und, wie lange noch? Irgendwann ist es genug damit, es hat seinen Teil erfüllt! Ich muss vorwärts blicken. Ich werde geheilt weil ich die Heilung will, weil ich daran arbeiten will. Ich will nicht zerbrechen,
ich werde nicht zerbrechen. Daran glaube ich.

Euch allen, wünsche ich ein Gutes Neues Jahr 2005.
Dennoch wollen wir hoffen.

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Ein Leben im Westjordanland
Aus dem Leben einer palästinensischen Mutter. Um Mohammed ist Lehrerin und Mutter von vier Kindern. Als die israelische Armee das Dorf, in dem sie wohnt, zum Sperrgebiet erklärt, kann sie ohne Passierschein keinen Schritt mehr tun. Doch den Ausweis hat sie empört zerrissen. Die Israelis bauen einen "Sicherheitszaun" im Westjordanland. Als Ende 2003 bei einem kleinen Dorf nicht weit von Dschenin ein Checkpoint errichtet wird, rebellieren die Einwohner erst, doch dann fügen sie sich in ihr Schicksal. Nur die Lehrerin Um Mohammed will sich nicht damit abfinden, dass sie sich nicht mehr frei bewegen darf. Wütend zerreißt sie den Passierschein. Ihre Schule allerdings ist in Dschenin, und um zu ihren Schülerinnen zu gelangen, muss sie durch den Kontrollpunkt. Ohne Passierschein aber darf sie ihr Dorf weder betreten noch verlassen. Von einem Tag auf den anderen ist sie eine Gefangene - ohne Anklage, ohne Prozess, ohne Urteil.
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