Stimmungsmache statt Aufklärung

Mark Braverman, Verhängnisvolle Scham.
Israels Politik und das Schweigen der Christen

Ernstes Thema – quälend inkompetente Behandlung

Pastorin Hanna Lehming
Beauftragte für christlich-jüdischen Dialog der Nordelbischen Evangelisch-luth. Kirche (NEK)
(http://www.christen-juden.de)

 

Wenn ein amerikanischer Jude den Zionismus als Verbrechen bezeichnet und Christen vorwirft, mit Kritik an Israel aus Scham und falscher Rücksichtnahme zu sparen, dann ist ihm die Aufmerksamkeit einer deutschen Leserschaft sicher. Bereits mit dem Titel seines Buches trifft der Autor eine Stimmung zunehmender Unzufriedenheit über die Aussagen der sog. 'Israel- Theologie' und die angebliche Zurückhaltung der offiziellen Kirche gegenüber dem Staat Israel. Stimmungsmache oder ein kritisch-aufklärendes Buch?

Mark Braverman, im Jahre 1948 in den USA geboren, Psychologe und Friedensaktivist, sog den Zionismus wie er sagt „mit der Muttermilch“ auf. Im Jahr 1965 besuchte er Verwandte in Israel. „Ich war in das Land verliebt – zutiefst, ja geradezu entzückt.“ (49) Doch dieses Entzücken weicht einem jähen Schock als Braverman Israel und die besetzten Gebiete im Jahr 2006 erneut bereist. Die Tatsachen, die er beschreibt, sind allgemein bekannt und belasten viele: Trennungsmauer, Bautätigkeit israelischer Siedler im besetzten Gebiet, ihre gewalttätigen Aggressionen gegen Palästinenser, Landraub. Braverman: Da „fiel meine Abwehr gegen die Realität der Verbrechen Israels in sich zusammen“. (51) Nicht ohne Pathos fährt der Ich-Erzähler fort: „Und meine Augen vergossen Ströme von Tränen um sie, meine palästinensischen Brüder und Schwestern“. (52) Seine schlichte „Botschaft“ lautet seither, „dass im Heiligen Land unbedingt Gerechtigkeit einziehen“ muß (268). Wer wollte ihm nicht zustimmen?

Es könnte also ein Buch über den anstrengenden Weg der Versöhnung werden, in dem die Geschichte zweier Völker nachgezeichnet wird, die im Nahen Osten in einer Jahrhunderttragödie zusammengestoßen sind. Der Autor hätte auf 320 Seiten ausführlich schildern können, wie Antisemitismus und Nationalismus im 19. und 20. Jahrhundert zur Vertreibung und Auswanderung der Juden aus Europa führten, wie etliche Staaten, darunter die USA, den verfolgten Juden Europas die Tür vor der Nase zuschlugen, so dass sie sich nicht – wie Bravermans Vorfahren – in Sicherheit flüchten konnten. Er hätte weiter beschreiben können, wie die nationale Befreiungsbewegung der Juden in Palästina auf den zu Recht erbitterten Widerstand der arabischen Bevölkerung traf. Er hätte die Bedeutung des Holocaust, die Vertreibung der Palästinenser und die politischen und strategischen Interessen der internationalen Staatengemeinschaft analysieren können. Er hätte sich als Psychologe fachkundig mit der ernsten Frage von Traumabewältigung und politischer Instrumentalisierung von Opferbewußtsein auseinandersetzen können. Dann wäre ein fundiertes Sachbuch entstanden, wie man es aus dem Gütersloher Verlagshaus erwartet hätte. Doch Braverman will weder zur Aufklärung noch zur Versöhnung beitragen, er will missionieren. Denn er hat die Wurzel des Übels eindeutig identifiziert: Es ist der messianische Zionismus und die Errichtung des Staates Israel, die zu der bis heute vorgenommenen „ethnischen Säuberung“ des Landes von seinen palästinensischen Bewohnern geführt habe. Für seinen Kampf gegen den Zionismus sieht Braverman die Christen als natürliche Verbündete. Das Christentum nämlich habe das Verdienst, den Schritt über das jüdische Stammesdenken und folglich den Auserwählungsgedanken hinaus getan zu haben. Begeistert zitiert er den amerikanischen Marxisten und Anti-Zionisten Joel Kovel: „Der größte aller Propheten ... war Jesus von Nazareth“. Den israelischen Juden empfiehlt der Amerikaner daher, das Land wie die Christen zu spiritualisieren, „Heimatland“ nicht als einen wirklichen, „beherbergenden“ Ort zu verstehen, sondern als „Vision einer wahrhaft pluralistischen Gesellschaft“. Vollends abstrus heißt es schließlich: „Im metaphorischen Sinn machte Christus uns alle zu Mitgliedern Israels“, mit Israel sei dann aber nicht etwa eine Nation gemeint, sondern „ein Bild für die gesamte in Gottes Liebe ... vereinte Menschheit“ (183). Folglich mahnt er die israelischen Juden, „sich mit der Weltchristenheit“ zu vereinen (187).

Zu seinem Ärger teilen aber nicht alle Christen Bravermans Sicht des christlichen Glaubens. Im zweiten Hauptteil seines Buches kritisiert er daher Theologen, die ihr Christentum - wie er meint - aus Scham über den christlichen Antijudaismus „verfälschen“. Statt die Vorstellung eines Bundes zwischen Gott und Israel als Wurzel der Verbrechen Israels zu begreifen, machten sie diesen Bund zur Grundlage der christlichen Offenbarung. Nun ist eine kritische Revision der sog. Israel-Theologie und ihrer Implikationen sicher nötig. Doch Braverman lehnt es überhaupt ab, theologisch zu argumentieren: „Wenn ihr in ein Gespräch mit uns eintreten wollt, dann tut das nicht mit unseren heiligen Schriften“ (158). Er zitiert kaum eine Bibelstelle, über deren Auslegung man dann streiten könnte, sondern trägt nur Thesen vor und bezichtigt Andersdenkende der „Selbstgefälligkeit“ (174).

Es überrascht nicht, dass der dritte Teil des Buches, der nun Bravermans Lösungsvorschläge für den Nahostkonflikt liefern soll, dünn bleibt und keineswegs originell ist. Voraussetzung einer Versöhnung mit den Palästinensern sei die Anerkennung der Verbrechen der 'Nakba'. Das ist zweifellos richtig, doch dazu würde man gerne mehr hören. In mehreren kleinen Absätzen lobt er statt dessen die missionarische und Menschenrechtsarbeit der lutherischen und presbyterianischen US-Kirchen im Nahen Osten, um als politische Lösung schließlich das Modell eines binationalen, nicht-jüdischen Staates vorzuschlagen. Dabei leitet ihn eine „Vision von Gemeinschaft“, bei der Juden und Araber in einen (neuen) Bund eintreten. Die Frage, wie man sich dies in der Realität vorstellen soll, überläßt Braverman lieber „qualifizierteren Geistern“ (276).

Kurz: „Verhängnisvolle Scham“ ist ein ärgerliches Buch, nicht wegen der zahlreichen unredigierten Rechtschreibfehler, nicht, weil man von einem jüdischen Psychologen Tiefgründigeres erwartet hätte über den Zusammenhang zwischen Holocaust und Menschenrechtsverbrechen als einen primitiven Vergleich, nicht weil sich Braverman weder historisch, noch theologisch als sachkundig erweist und erst recht nicht, weil das Buch etwa konstruktiv provozieren würde. Sondern: Es ist ärgerlich, weil es dem Leser zumutet, über 320 Seiten die Schuldgefühle und Bekehrungserlebnisse eines Mannes nachzuvollziehen, der in
ruhiger Sicherheit im fernen Amerika sitzt und kitschig-ahnungslose Empfehlungen an Menschen gibt, die mitten in einem existentiellen Drama leben. „Ich bin kein Israeli, ... aber ich fühle mich verantwortlich“ (55). Zielsicher macht der Psychologe Schuld- und Schamgefühle bei Christen, Abwehr, Verdrängung und Minderwertigkeitskomplexe bei Juden aus. Wie oft er selbst mit seinen Scham- und Schuldgefühlen argumentiert, wie deutlich er die Sprache eines amerikanischmessianischen „Weltretters“ (156) spricht, der sich eine „Erweckungsbewegung“ (285) wünscht, das reflektiert er nicht.

Dem amerikanischen Juden, der Jesus für den größten Propheten hält, möchte man ein Wort seines Messias anempfehlen: „Was siehst du aber den Splitter in deines Bruders Auge, und wirst nicht gewahr des Balkens in deinem Auge?“ Das hat nichts mit emotionsloser „Ausgewogenheit“ zu tun, sondern ist schlicht ein Gebot der Fairness, die bei der Betrachtung des Nahostkonflikts fast immer zu kurz kommt und darum meistens nur Verletzte hinterläßt.

Liktipp:

http://www.christen-juden.de
Rezension von Johannes Gerloff: Die Palästinenser (Stefan Meißner)

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