„Christlicher Glaube und nichtchristliche Religionen“
aus der Perspektive christlich-jüdischer Annäherung

Kritisch-polemische Bemerkungen zum EKD-Text Nr.77

von Cord Hasselblatt

Im Lichte des seit 1945 neu begonnenen christlich-jüdischen Gesprächs erweisen sich die theologischen Leitlinien als höchst unzureichend. Den Verfassern Jüngel und Wendebourg sind seine Einsichten offenkundig unbekannt. Mehr als die Titel und Erscheinungsjahre der 3 einschlägigen EKD-Studien und eines entsprechenden Leuenberger Lehrgesprächs haben sie offenbar nicht rezipiert.

So geraten die Leitlinien zu Leidlinien der sattsam bekannten Israel-Vergessenheit von herkömmlicher evangelischer Theologie. Die bleibende Erwählung Israels wird auf Seite 11 verschwiegen, ebenso besonders auf Seite 16 das Judesein Jesu (schamhaft?) umschrieben. Die auf diese Weise präsentierte evangelische Theologie ist verlogen. Sie fällt weit hinter bereits gültig Erkanntes zurück und kann zukünftige Erkenntnissuche erschweren, wenn man ihr zuviel Gewicht beimisst. So ist auf Seite 14 von der „Ablehnung Jesu Christ...im Judentum“ die Rede. Es hätte den Autoren gut angestanden, die daraufhin erfolgenden christlich-kirchlichen Vertreibungen und Morde von jüdischen Menschen zu erwähnen. Doch das fällt natürlich auf grundsätzlich-theologischer Ebene herkömmlicherweise nicht ins Gewicht.

Gerade nach 1945 ist evangelische (und christliche) Theologie (im Ganzen!) neu „im Werden“. Dass diese Einsicht dem Verfasser des Buches „Gottes Sein ist im Werden“ entgangen ist, ist bestechend. Auf Seite 15 ist vom „Ereignis der Wahrheit“ die Rede, die kein menschlicher Besitz ist und daher von Kirche und Christen anderen Menschen nicht absolutistisch vorgehalten werden kann. Im christlich-jüdischen Dialog seit 1945 haben sich unzählige Male Ereignisse theologischer Wahrheit und Erkenntnis ergeben, die in diesem Text, sehr zu seinem Schaden, a priori ausgeschlossen sind, weil man vorgeblich grundsätzlicher an diese Fragen herangehen wollte (Seite 7).

Grundsätzlich, oder um näher am Text zu bleiben, fundamental stellt sich christlicher Theologie nach 1945 die Frage, wie es möglich sein konnte, dass so viele Nachfolgerinnen und Nachfolger Jesu zu Judenfeinden wurden, dass auch im Gefolge Martin Luthers sich in der Zeit des III. Reiches präzise Handlungsanweisungen für judenfeindliche Politik in kirchlich-theologischen Quellen finden ließen. Zumal evangelische Theologie muss seit 1945 daran interessiert sein, der Frage nachzugehen, ob Judenfeindschaft ihr Wesenskern ist. Der EKD-Text ist hier nicht wirklich beruhigend.

Zusammenfassend gesagt:
Es ist sehr zweifelhaft, ob die solcherart präsentierte evangelische Theologie wirklich zum Dialog mit Menschen anderer Religionen hilft. Aber vielleicht ist das ja auch nicht wirklich das Ziel dieses Textes. Möglicherweise sprechen die Autoren auf Seite 18 die (un)heimliche Agenda dieses Textes aus, wenn sie schreiben, „dass sich die Frage aufdrängt, inwiefern die religiöse Praxis der verschiedenen Religionen in Wahrheit Gottesverehrung zu heißen verdient.“
Die Äußerungen ab Seite 20 über „Die Religionen in der demokratischen, pluralistischen Gesellschaft“ geben allerdings wie einige einleitende Bemerkungen über die Globalisierung und den „jüdisch-christlichen Schöpfungsglauben“ (Seite 12f.) Ansatzpunkte und Interesse an „ein(em) gute(n) Zusammenleben von Christen und Menschen anderer Religionen“ (Seite 21) zu erkennen.