Dabru
emet - redet Wahrheit. Eine jüdische Herausforderung zum Dialog
mit den Christen. von Rainer Kampling, Michael. Weinrich (Hg.) Preis: EUR 19,90 Dieser Artikel ist noch nicht erschienen. Sie können ihn jedoch vorbestellen und wir verschicken ihn, sobald er verfügbar ist. |
In den letzten Jahren ereignete sich eine tiefgreifende und nie da gewesene Veränderung der jüdisch-christlichen Beziehungen. Während des fast zweitausend Jahre langen jüdischen Exils neigten Christen dazu, Judentum als eine verfehlte Religion zu charakterisieren oder bestenfalls als eine Religion, die dem Christentum den Weg bereitete und sich in ihm erfüllte. In den Jahrzehnten seit dem Holocaust (Shoah) hat sich das Christentum jedoch tiefgreifend verändert. Eine wachsende Anzahl offizieller Kirchenvertretungen, römisch-katholische wie protestantische, haben öffentlich ihre Schuld an christlicher Misshandlung von Juden und Judentum erklärt. Diese Erklärungen haben darüber hinaus gesagt, dass christliche Lehre und Verkündigung erneuert werden kann und muss, sodass sie Gottes bleibenden Bund mit dem jüdischen Volk anerkennen und den Beitrag des Judentums zur Weltkultur und zum christlichen Glauben insbesondere würdigen. Wir sind der Meinung, dass diese Veränderungen eine wohlbedachte jüdische Antwort verdienen. Als eine - unterschiedliche Richtungen übergreifende - Gruppe jüdischer Lehrer, die nur für sich sprechen, halten wir die Zeit für gekommen, dass Juden Kenntnis nehmen von den christlichen Bemühungen, dem Judentum Ehre widerfahren zu lassen. Wir meinen, es ist Zeit für Juden zu überlegen, was das Judentum jetzt über das Christentum zu sagen hat. Als einen ersten Schritt bieten wir acht kurze Thesen darüber an, wie Juden und Christen ihre Beziehung zueinander neu gestalten können.
1. Juden und Christen beten zu demselben Gott.
Vor der Entstehung des Christentums waren Juden die einzigen Anbeter des Gottes
Israels. Aber Christen beten genauso zu dem Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs,
dem Schöpfer des Himmels und der Erden. Während christlicher Gottesdienst
keine für Juden gangbare religiöse Möglichkeit ist, so freuen
wir uns als jüdische Theologen doch darüber, dass durch das Christentum
Hunderte von Millionen Menschen mit dem Gott Israels in Verbindung gekommen
sind.
2. Für Juden und Christen ist dasselbe
Buch gültig - die Bibel (die Juden "TeNaCh" und Christen "
Altes Testament" nennen).
Wenden wir uns an die Bibel für religiöse Orientierung, geistliche
Bereicherung und gesellschaftliche Erziehung, so benutzen wir ähnliche
Lektionen: Gott schuf und erhält das All, Gott schloss einen Bund mit dem
Volk Israel, Gottes offenbartes Wort führt Israel zu einem Leben der Gerechtigkeit;
und Gott wird am Ziel der Zeiten Israel und die ganze Welt versöhnen. Doch
Juden und Christen legen die Bibel an vielen Punkten unterschiedlich aus. Solche
Unterschiede müssen immer respektiert werden.
3. Christen können den Anspruch des jüdischen
Volkes auf das Land Israel beachten/respektieren.
Das wichtigste Ereignis seit dem Holocaust (Shoah) ist für Juden die Wiedererrichtung
eines jüdischen Staates im Verheißenen Land. Als Glieder einer biblisch-begründeten
Religion erkennen Christen an, dass Israel den Juden verheißen - und gegeben
- zum leibhaftigen Zentrum des Bundes zwischen ihnen und Gott wurde. Viele Christen
unterstützen den Staat Israel aus Gründen, die viel tiefer gehen als
nur politische. Als Juden zollen wir dieser Unterstützung Beifall. Wir
erkennen auch an, dass die jüdische Tradition Gerechtigkeit verbindlich
macht für alle Nicht-Juden, die in einem jüdischen Staate wohnen.
4. Juden und Christen erkennen die moralischen
Grundsätze der Tora an.
Im Mittelpunkt der moralischen Grundsätze der Tora steht die unwandelbare
Unantastbarkeit und Würde jedes menschlichen Wesens. Wir alle wurden zum
Bilde Gottes geschaffen. Diese gemeinsame ethische Bewertung kann Grundlage
verbesserter Beziehung zwischen unseren beiden Gemeinschaften sein. Sie kann
auch die Grundlage eines machtvollen Zeugnisses an die ganze Menschheit sein,
um das Leben unserer Mitmenschen zu verbessern und gegen Unmoral und Götzendienst
aufzustehen, die uns schaden und herabsetzen. Solches Zeugnis ist besonders
gefragt nach den beispiellosen Schrecken des vergangenen Jahrhunderts.
5. Der Nationalsozialismus war kein christliches
Phänomen.
Ohne die lange Geschichte des christlichen Anti-Judaismus und christlicher Gewalt
gegen Juden hätte sich die Nazi-Ideologie nicht halten können noch
so verwirklichen lassen. Zu viele Christen partizipierten an oder sympathisierten
mit den Nazi-Gewalttaten an Juden. Andere Christen protestierten nicht hinreichend
gegen diese Gewalttaten. Doch der Nazismus selbst war keine unausweichliche
Folge des Christentums. Wenn die Vernichtung der Juden durch die Nazis voll
gelungen wäre, hätte sie ihre mörderische Raserei noch direkter
gegen das Christentum gewandt. Wir erkennen mit Dankbarkeit solche Christen
an, die ihr Leben riskierten und opferten, um Juden während des Nazi-Regimes
zu retten.In diesem Bewusstsein bestärken wir die Fortsetzung jüngster
Bemühungen in christlicher Theologie, die beispiellose Verachtung des Judentums
und des jüdischen Volkes zurückzuweisen. Wir zollen solchen Christen
Beifall, die diese Lehre der Verachtung verwerfen, und wir behaften sie nicht
bei den Sünden ihrer Vorfahren.
6. Der menschlich gesehen unversöhnliche
Unterschied zwischen Juden und Christen wird nicht aufgehoben, ehe Gott
nicht alle Welt versöhnt, wie verheißen in der Schrift.
Christen kennen und dienen Gott durch Jesus Christus und christliche Tradition.
Juden kennen und dienen Gott durch Tora und jüdische Tradition. Dieser
Unterschied kann nicht dadurch aufgehoben werden, dass eine Gemeinschaft darauf
besteht, die Schrift genauer ausgelegt zu haben als die andere, noch dadurch,
dass sie politische Macht ausübt über die andere. Juden können
die Loyalität von Christen ihrer Offenbarung gegenüber achten - genauso
wie wir von Christen die Achtung unserer Loyalität gegenüber unserer
Offenbarung erwarten. Weder Jude noch Christ soll dazu gedrängt werden,
die Lehre der jeweils anderen Gemeinschaft zu übernehmen.
7. Eine neue Beziehung zwischen Juden und Christen
wird jüdische Lebenspraxis nicht schwächen.
Eine verbesserte Beziehung wird nicht die kulturelle und religiöse Assimilation
vorantreiben, was Juden zu Recht befürchten. Sie wird überlieferte
Formen des jüdischen Gottesdienstes nicht verändern noch Ehen zwischen
Juden und Nicht-Juden fördern noch mehr Juden überreden, zum Christentum
überzutreten, noch falsche Vermischung von Judentum und Christentum schaffen.
Wir achten das Christentum als einen Glauben, der im Judentum seinen Ursprung
und noch bedeutsame Verbindungen zu ihm hat. Wir sehen das Christentum nicht
als Erweiterung des Judentums an. Nur wenn wir unsere eigenen Traditionen hegen
und pflegen, können wir diese Beziehung mit Integrität gestalten.
8. Juden und Christen müssen zusammenarbeiten
für Gerechtigkeit und Frieden.
Juden und Christen erkennen - jeweils auf ihrem eigenen Weg - den unerlösten
Zustand der Welt, wie er sich spiegelt im Andauern von Verfolgung, Armut und
menschlicher Erniedrigung und menschlichem Elend. Obwohl Gerechtigkeit und Friede
schließlich Gottes Sache sind, werden unsere vereinten Anstrengungen -
zusammen mit solchen anderer Glaubensgemeinschaften - dazu beitragen, Gottes
Herrschaft näher zu bringen, auf die wir hoffen und nach der wir uns sehnen.
Getrennt und gemeinsam müssen wir Gerechtigkeit und Frieden in unserer
Welt schaffen. Bei diesem Unternehmen lassen wir uns leiten von der Vision des
Propheten Israels:
"Am Ende des Tages wird es geschehen: Der Berg mit dem Haus des HERRN steht fest gegründet als höchster der Berge; er überragt alle Hügel. Zu ihm strömen alle Völker. Viele Nationen machen sich auf den Weg. Sie sagen: Kommt, wir ziehen hinauf zum Berg des HERRN und zum Haus des Gottes Jakobs. Er zeige uns seine Wege: aus seinen Pfaden wollen wir gehen." (Jesaja 2, 2-3)
Dr. Tikva Frymer-Kensky The Divinity School, University of Chicago, Chicago
Dr. Peter W. Ochs University of Virginia, Charlottesville
Dr. David Novak University of Toronto, Toronto
Dr. Michael A. Signer University of Notre Dame, South Bend
(aus: The New York Times, 10. September 2000)
Übersetzung: Annegret Werner und Rudolf Weckerling
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