Religionen für Gerechtigkeit in Palästina-Israel: Jenseits von Luthers Feindbildern
Hg. von Ulrich Duchrow und Hans G. Ulrich, LIT-Verlag 2017

Rezension von Stefan Meißner (erschienen im Pfälzischen Pfarrerblatt 107. Jg., Nr. 11, 2018)


Urlich Duchrow

„Jenseits von Luthers Feindbilden“?
Die Anfänge dieses Werkes gehen zurück zu einem internationalen Projekt „Die Reformation radikalisieren – provoziert von Bibel und Krise“, deren Abschlusskonferenz 2017 in Wittenberg stattfand. Der Bezug auf das Reformationsjubiläum und die in diesem Jahr immer wieder diskutierte Judenfeindschaft Luthers, klingt auch im Untertitel des Buches an. Doch so weit „jenseits von Luthers Feindbilden“, wie dieser suggeriert, sind die Autoren dieser Aufsatzsammlung gar nicht. Manche Stereotypen in Blick auf Israel, teilweise auch in Blick auf „die Juden“ (zumindest die „konstantinischen Juden“)(1) sind vom Judenhass des Wittenberger Reformators gar nicht so weit entfernt. Ärgerlich an dieser Publikation ist aber nicht nur der permanent antiisraelische Unterton, sondern auch – viel banaler – die vielen sachlichen Fehler.

Kein Projekt des Westens
Das Buch ist gespickt von historischen Ungenauigkeiten, vor allem was die Staatsgründung Israels und den anschließenden Unabhängigkeitskrieg angeht. Viele dieser Ungenauigkeiten rühren von einem ideologisch entstellten Geschichtsbild her, das Israel als „Extrembeispiel der westlichen kolonialistischen, kapitalistischen, imperialen, wissenschaftlich-technischen, rassistischen, gewalttätigen Eroberungskultur“ darstellt, „wie sie sich in den letzten 500 Jahren entfaltet hat“ (S. 179). Ein nüchterner Blick auf die Faktenlage zeigt, dass die Entstehung eines jüdischen Staates kein „kolonialistsiches Projekt“ (S. 170) des „globalen Westens“ war, bei dem eine zionistische Lobby die Strippen zog. Sie war das Ergebnis eines völkerrechtlich völlig legal zustande gekommenen Teilungsplans, mit dem die Vereinten Nationen endlich den Konflikt zwischen arabischen und jüdischen Bewohnern des britischen Mandatsgebiets lösen wollten. Der Plan wurde am 29. November 1947 von der UN-Generalversammlung mit großer Mehrheit (33 dafür, 13 dagegen, 10 Enthaltungen) als Resolution 181 angenommen. Zu den Befürwortern gehörten damals nicht nur die USA und der Westen, wie das Buch an mehreren Stellen (z.B. S.93f.) unterstellt, sondern auch die UdSSR und viele weitere kommunistische Staaten. Die Autoren vergessen oder unterschlagen, dass viele Zionisten ideologisch dem Sozialismus durchaus nahe standen. So nimmt es nicht Wunder, dass es weder die USA noch andere westliche Staaten waren, die die jüdischen Einheiten mit Waffen versorgten, sondern Staaten des späteren Warschauer Paktes, allen voran die Tschechoslowakei. Israel als ein Projekt des Westens darzustellen, ist eine Rückprojektion späterer Verhältnisse in die Frühphase dieses Staates.

Minderheitenrechte in Israel
Abgelehnt wurde ein Judenstaat auf einem Teil(2) des britischen Mandatsgebiets v.a. von arabischen Ländern. Der Plan der Vereinten Nationen verletze angeblich die Rechte der Mehrheitsbevölkerung in Palästina. Doch erstens wäre in dem vorgeschlagenen jüdischen Staat die nichtjüdische Bevölkerung mit 325.000 Einwohnern schon damals numerisch in der Minderheit gewesen gegenüber den 498.000 Juden. Außerdem verbürgte Israel in seiner Unabhängigkeitserklärung von Anfang an „all seinen Bürgern ohne Unterschied von Religion, Rasse und Geschlecht, soziale und politische Gleichberechtigung“. Der neue Staat wollte „Glaubens- und Gewissensfreiheit, Freiheit der Sprache, Erziehung und Kultur gewährleisten, die Heiligen Stätten unter seinen Schutz nehmen und den Grundsätzen der Charta der Vereinten Nationen treu bleiben.“ Das heutige Israel Netanjahus aber droht stellenweise hinter diesen Selbstanspruch zurückzufallen. Gerade das jüngst verabschiedete Nationalitätsgesetz wird von der arabischen Minderheit als ein Schlag ins Gesicht empfunden. Trotz allem fühlen sich nach einer aktuellen Umfrage fast 80 Prozent der arabischen Israelis „wohl“ oder „sehr wohl“. Sollte es je einen Palästinenserstaat geben, die meisten von ihnen würden nicht dorthin ziehen.(3)

Die vertane Chance auf einen Palästinenserstaat
Wer behauptet, bei Israel handle es sich um „den einzigen Staat, der jemals durch die UN geschaffen wurde“ (S. 76), vergisst, dass auch die Palästinenser - der Begriff ist eigentlich ein Anachronismus für die damalige Zeit – einen eigenen Staat zugesprochen bekamen von einer Größe, von der sie heute nur noch träumen können. Dass es dazu nicht kam, liegt schlicht und ergreifend daran, dass nach der Unabhängigkeitserklärung Israels eine Allianz arabischer Staaten dem Judenstaat den Krieg erklärte. Diese Koalition unterstützte die „Armee des heiligen Krieges“, eine paramilitärische Formation der Palästinenser unter Führung des Großmuftis al-Husseini, während des Zweiten Weltkrieges einem engen Vertrauten Adolf Hitlers. Sein erklärtes Ziel damals: Die Araber „sollten gemeinsam über die Juden herfallen und sie vernichten“.(4) Hätten er und seine Bündnisgenossen den Unabhängigkeits¬krieg gewonnen, der Holocaust wäre wirklich zum „Ganzopfer“ geworden. Nicht Israel oder der Westen verhinderten die Entstehung eines arabischen Staates in Palästina, wie ihn der Teilungsplan der UN vorgesehen hatte, sondern vielmehr die divergierenden Interessen der arabischen Feudalmächte. So riss sich nach dem verlorenen Krieg das benachbarte Jordanien das Westjordanland und Ägypten den Gazastreifen unter den Nagel. Was hätte sie damals gehindert, einen Palästinenserstaat zu etablieren? Nichts, außer den eigenen Machtinteressen.

Flucht und Vertreibung
Ja, es stimmt, dass es im Zuge des Krieges und auch noch danach zu Vertreibungen kam. Aber kann man wirklich wie Amjad-Ali von einer „totale(n) Zerstörung des palästinensischen Volkes“ (S. 76) sprechen? Davon dass die Gründungserklärung 1948 „die Palästinenser völlig vernichtete“ (S.75)? Viele der palästinensischen Araber wurden nicht vertrieben, sondern flüchteten in der Hoffnung, nach dem bald gewonnen Krieg wieder zurückkehren zu können, in die arabischen Nachbarstaaten. Es stimmt, dass die Flüchtlinge dort bis heute „noch immer ausgegrenzt leben“ (S.75). Aber ist die menschenunwürdige Behandlung der Palästinenser in arabischen Ländern wirklich Israel anzulasten? Überhaupt nicht erwähnt wird in dem Buch die etwa gleich große Zahl von Mizrahi-Juden, die während und nach dem Unabhängigkeitskrieg aus arabischen Staaten vertrieben wurden. Es wird noch lange dauern, bis auch ihre Leidensgeschichte im Diskurs um Israel/Palästina ernst genommen werden wird. Doch diese Ignoranz und Einseitigkeit passt zu dem Schwarz-Weiß-Denken, das praktisch alle Aufsätze durchzieht: die Juden sind die Täter, die Palästinenser die Opfer. Als ob die Dinge so einfach lägen.

Das Existenzrecht Israels
Nun wäre ein schlechtes Buch noch nicht unbedingt ein gefährliches Buch. Gefährlich aber wird es, wenn man das Existenzrecht Israels in Frage stellt. Nun hat Duchrow gegenüber den Medien behauptet, eben dies sei nicht der Fall. Aber stimmt das wirklich für alle Beiträge? Zumindest „die Vorstellung eines jüdischen Staates“ scheint Braverman in Frage zu stellen (S.96). Permanent wird Israel delegitimiert, indem man es in Verbindung bringt mit Schlagwörtern wie Triumphalismus, Tribalismus, Habgier, Partikularismus und Territorialismus. Dem jüdischen Autor scheint jedes Gespür dafür zu fehlen, dass viele dieser Begriffe aus der Giftküche des klassischen Antisemitismus stammen. Wohin die Vision der Autoren wirklich geht, schimmert durch, wenn M. Ellis über eine Ära „nach dem Holocaust und nach Israel“ nachdenkt (S.143). Auch Amjad-Ali betont „die Wichtigkeit der Verneinung jüdischer Rechte, Geschichte und Ansprüche auf dieses Land“ (S. 72). Wenig später fordert er, man solle „den guten Willen und die Absichten, die den Staat Israel geschaffen haben, hinterfragen“ (S.81). Machen wir uns nichts vor: Das Existenzrecht Israels zu leugnen, ist eines der Kennzeichen des aktuellen israelbezogenen Antisemitismus. Das Machwerk Duchrows und seiner Kollegen haut kräftig in diese Kerbe.

Ein Ende des Erinnerns
Vordergründig bedauert man, was während des Holocaust geschah. Doch schon im Vorwort wird kritisiert, der Holocaust werde „zunehmend dazu benutzt, Kritik am Staat Israel zu diffamieren und niederzuschlagen“ (S. 9). Wie beides nach Sicht der Autoren zusammenhängt, lesen wir weiter hinten im Buch: Die Vertreter des christlich-jüdischen Gesprächs schließen mit der israelischen Regierung einen „ökumenischen Deal“, der besagt: Wir werden so lange zu den „vergangenen Schäden“ schweigen, solange ihr das Thema Israel im Dialog ausspart (S. 112). Oder mit den Worten von Ellis: „Christen tut Buße für Eure Sünden, steht fest zu Israel und schweigt über die Palästinenserfrage“ (S.132). Statt immer wieder über das Leiden der Juden zu sprechen, gelte es, den „Ruf der heutigen Opfer zu hören“ (ebd.), der Palästinenser. Diese Verschiebung des Focus begründet Braverman mit einem Zeitenwandel: „Theologischen haben wir die ‚Post-Holocaust-Ära‘ verlassen und sind in die ‚Post-Nakba-Ära‘ eingetreten“ (S. 112). Die „Haltbarkeitsdauer“ des Holocausts nähere sich seinem Ende (S.135), findet auch Ellis. Die Geschichte gehe weiter (ebd.), überhaupt sei der Antisemitismus ja „erheblich zurückgegangen“ (S. 130). Muss man diese Aussagen noch weiter kommentieren, um zu erkennen, wie nahe diese Aussagen dem Ansinnen rechtspopulistischer Strömungen stehen, endlich einen Schlussstrich unter das Thema Auschwitz zu ziehen?

Vergleiche mit Nazi-Deutschland und Südafrika
Gebetsmühlenartig wird von einer „fortgesetzte(n) ethnische(n) Säuberung und Kolonialisierung Palästinas“ (S. 123; ähnlich S.10) gesprochen, „dem vergleichbar, dem Juden im Nazi Deutschland zwischen 1933 und 1938 (sic!) ausgesetzt waren“ (S. 149). Nicht nur bleibt man den Nachweis schuldig, dass bei den Vertreibungen oder Diskriminierungen tatsächlich Rassismus als Motiv eine Rolle spielte. Auch versucht man nicht einmal zu erklären, warum nach dem angeblichen Genozid an der palästinensischen Bevölkerung heute noch immer Millionen von Palästinensern in Israel und den besetzten Gebieten leben. Trotzdem wird Israel immer wieder mit Nazi-Deutschland vergleichen, das sich „zu einem faschistischen Staat“ entwickelt habe und die „indigene Bevölkerung“ zu ghettoisieren versuche (S. 146; ähnlich S. 149). Die Opfer von damals werden so zu den Tätern von heute - ein typisches Kennzeichen des sog. sekundären Antisemitismus. Aber nicht nur mit Nazi-Deutschland wird Israel verglichen, auch mit anderen Unrechtsstaaten: So fällt immer wieder der Begriff „Apartheidsstaat“ (S. 84, 176f. u.ö.), der die Politik Israels in unmittelbare Nähe der Rassendiskriminierung Südafrikas rückt. Beides, die Verbindung zwischen Holocaust und Vertreibung der Palästinenser als auch den Vergleich Israels mit Südafrika findet der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung Felix Klein, „sehr kritisch“ und „nicht hinnehmbar“ – eine Einschätzung, der ich mich nur anschließen kann.

Paulus und Luther
Bei aller Dominanz von politischen und historischen Topoi beschäftigen sich doch einige Artikel des Buches auch ausführlich mit theologischen Fragen. Am meisten ist das bei dem Beitrag von B. Kahl ausgeprägt, der sich kritisch mit der Rechtfertigungslehre auseinandersetzt. Die Autorin, Professorin am Union Theological Seminary in New York, entwickelt vor dem Hintergrund der „New Perspective“ einen Blick auf den Apostel, der sich wohltuend abhebt von der klassischen lutherischen Lesart. Ihr kritischer Blick auf die dort zu findenden „Binaritäten“, die einem gefährlichen Freund-Feind-Denken den Boden bereiten, ist erfrischend. Schwer tue ich mir freilich, wenn sie den Begriff nómos in den Paulusbriefen mit dem „imperialen Nomos“ der „Kaiserreligion“ identifiziert und damit jede Beziehung zur jüdischen Tora leugnet. Ähnlich hebt sie die „Heiden“ (éthne) bei Paulus ab von den biblischen Völkern (goijim) und liest den Begriff ganz im Kontext des römischen Sprachgebrauchs. Natürlich war das Judentum, aus dem Paulus kam, ein hellenisiertes Judentum. Aber ich halte es für wenig wahrscheinlich, dass der Jude Paulus rein pagane Begriffe in den Mittelpunkt seiner Theologie gestellt hat.

Mit Bonhoeffer gegen die Ketzer
Wer den Aufsatz Bravermans direkt nach dem von B. Kahl liest, dem müsste eigentlich auffallen, dass das bei der Neutstamentlerin als gefährlich entlarvte Freund-Feind-Denken für den Beitrag des jüdischen Psychotherapeuten geradezu konstitutiv ist. Im Anschluss an Dietrich Bonhoeffer und den Kirchenkampf sieht er in der gegenwärtigen Auseinandersetzung um Israel/Palästina den status confessionis gegeben. Sein Feind ist der christliche Zionismus, den er als „moderne christliche Häresie“ ansieht (S. 94). Sein dualistisches Weltbild wird deutlich durch Überschriften wie „Falsche Kirche, wahre Kirche“ (S. 97) oder Sätze, die beginnen mit Floskeln wie: „Der Kampf findet heute zwischen zwei Polen statt…“ (S. 123). Ob Braverman weiß, dass Bonhoeffer 1933 in einer Christologievorlesung sagte, „Israel werde der Ort sein, an dem Gott seine Verheißungen erfüllt“?(5) Ob er eingestimmt hätte in dessen Forderung: „Wer gregorianisch singt, muss auch für die Juden schreien“?(6)

Jüdischer Befreiungtheologe gegen die Juden
Anders als für Braverman ist für Marc Ellis Bonhoeffer „zu stark an Traditionen orientiert, zu biblisch und vor allem zu traditionell christlich“ (S. 147). Er sieht sich selbst eher in der Tradition der biblischen Propheten, hebt sich zugleich aber auch von ihnen ab. Erstens, so betont er, kann er nach Auschwitz „keine Kräfte außerhalb seiner selbst“ beschwören (S.144). Außerdem bezeichnet er sich als „Keine Rettung-Propheten“ (S. 145), um sich von den „Vielleicht-Rettung-Propheten“ früherer Zeiten zu distanzieren. Dass es keine Rettung mehr gibt für Palästina, liegt allein an „den Juden“. Wohlgemerkt: Nicht an Israel allein, sondern dem weltweiten „Netz“, das „konstantinische Juden“ angeblich gesponnen haben, um ihre Macht über diesen Planeten zu sichern (S. 148). Mit seiner Beschwörung eines „jüdischen Imperium(s) in Amerika und Israel“ (S.133; vgl. auch S. 136), bedient er sich des Vokabulars antijüdischer Verschwörungstheorien, die „den Juden“ vorwerfen, die Weltherrschaft an sich reißen zu wollen.

„Ein zutiefst israelfeindliches Machwerk“
Ich glaube, die dargestellten Beispiele reichen, um sich ein Bild vom Charakter des Buches machen zu können. Nach meiner Meinung hat der Deutsche Koordinierungsrat der Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit Recht, wenn er es als „ein zutiefst israelfeindliches Machwerk“ bezeichnet. Es sei „unfassbar“, so heißt es in einer Stellungnahme, „dass ein deutscher Theologe heute mit einem derartigen Feindbild über Israel an die Öffentlichkeit tritt!“ Auch der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, hält das Buch für „deutlich antisemitisch“. Der Chef des LIT-Verlags Wilhelm Hopf gab in einer Stellungnahme gegenüber der Jüdischen Allgemeinen zu, der Band „hätte in unserem Verlag nie erscheinen dürfen“. Kurioses Detail: Die EKD dementierte im Nachhinein, dass sie je dieses Projekt finanziell unterstützt habe, wie die Danksagung im Vorwort unterstellt. Auf Nachfrage der Zeitung „Die Welt“ an Bedford-Strohm teilte ein Sprecher der EKD mit: „Von dem Text von Herrn Duchrow distanziert sich die EKD inhaltlich ausdrücklich.“(7) Auch andere Landeskirchen, die an der Finanzierung beteiligt gewesen sind, bestreiten im Nachhinein, irgendwelche Details gekannt zu haben.

Die Grenze zwischen legitimer Kritik an Israel und Antisemitismus
Nun könnte man die Geschichte dieser Publikation gerade als Beleg dafür anführen, dass eine Kritik am Staat Israel heute in Deutschland gar nicht mehr möglich ist. Doch ist das wirklich wahr? Einmal abgesehen von der hybriden Selbstüberschätzung, mit der sich die Autoren in eine Reihe mit Gandhi, Bonhoeffer und den biblischen Propheten stellen, abgesehen auch von den zahlreichen historischen Ungenauigkeiten und ideologischen Stereotypen, mit denen hier gearbeitet wird, hätte man das Buch als vielleicht etwas einseitige, aber doch legitime Stellungnahme im Nahostkonflikt lesen können. Das wäre dann der Fall gewesen, wenn sich die Autoren an die folgenden vier Standards gehalten hätten, die (nach Yad va-Shem) die Grenze zwischen legitimer Kritik an Israel und Antisemitismus markieren: Kritik an Israel ist dann legitim, wenn sie (1.) Israel mit dem gleichen Maß misst wird wie andere Völker und Staaten auch, (2.) das Existenzrecht Israels anerkennt, (3.) sich antijüdischer Stereotype enthält und (4.) Vergleiche mit den Ereignissen im Dritten Reich unterlassen werden. Es gibt aber, wie meine Besprechung gezeigt hat, praktisch keines dieser Kriterien, gegen das die Publikation nicht verstößt. Es ist deshalb als klar antisemitisch zu bezeichnen.

Neuauflage in der Pfalz?
Normalerweise hätte sich die Debatte über dieses Buch eigentlich erledigt. Die Restexemplare der Erstauflage werden auf der Webseite von Frau Hecht-Galinski(8) verscherbelt, die den „mutigen Theologieprofessoren“, Ulrich Duchrow und Hans G. Ulrich dankt für ihren mutigen Einsatz für Palästina. Auch bei der Online-Buchhandlung Otterstadt kann man noch Exemplare des Buches beziehen. Von deren Besitzer Hrn. Hirschler habe ich auch dankenswerterweise mein Rezensionsexemplar erhalten, nachdem beim LIT-Verlag nichts mehr zu bekommen war. Es ehrt ihn, dass er mir das Buch zur Verfügung hat, obwohl ich ihm ganz signalisierte, dass meine Besprechung möglicherweise nicht so positiv ausfällt. Es fragt sich aber schon, was ihn antreibt, dieses Machwerk unter neuer ISBN-Nummer weiter zu vertreiben, vielleicht sogar eine Neuauflage drucken zu lassen. Will er sich wirklich an der Israelhetze beteiligen, die heute neben dem sog. sekundären Antisemitismus die am meisten virulente Form der Judenfeindschaft in Deutschland ist?(9) Will er damit wirklich der Hamas, die in dem Buch (S. 86) als „eine seriöse politische Kraft mit großer sozialer Tiefe“ bezeichnet wird, ideologische Schützenhilfe leisten, wenn sie Israel mit Feuerdrachen, Granaten und Raketen beschießt? Ich hoffe, dass er es sich noch einmal anders überlegt, damit dieses Buch nicht in einem Atemzug mit dem Namen unserer Landeskirche genannt wird.(10)


Anmerkungen

(1) Mehr zu dem Begriff „konstantinische Juden“ weiter unten.
(2) Die Gebiete östlich des Jordans wurden 1946 dem haschemitischen Jordanien zugeschlagen.
(3) Quelle: Zweiter Pluralismus-Index des „Jewish People Policy Institute“ (JPPI) von 2017; vgl. https://www.israelnetz.com/gesellschaft-kultur/gesellschaft/2017/04/21/araber-und-juden-gluecklich-in-israel-aber-nicht-zusammen/
(4) K.M. Mallmann und M. Cüppers: Halbmond und Hakenkreuz. Das „Dritte Reich“, die Araber und Palästina, 2. Aufl. Darmstadt 2007, S. 249.
(5) Dietrich Bonhoeffer Werke (DBW 12): Berlin 1932 - 1933, Christian Kaiser Verlag/Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 1997, S. 308.
(6) Ausspruch Bonhoeffers bei den Predigerseminaren, die er seit 1935 in Pommern für die „Bekennende Kirche“ hielt.
(7) https://www.welt.de/politik/deutschland/plus176514216/Christlicher-Antisemitismus-Mit-der-Bibel-gegen-Israel.html.
(8) http://sicht-vom-hochblauen.de/.
(9) Vgl. dazu: S. Meißner: Latenter Antisemitismus bei 20 Prozent der Bevölkerung Der Antisemitismus-Bericht der Bundesregierung: eine Herausforderung für die Kirchen; online: http://www.imdialog.org/bp2012/02/meissner.pdf.
(10) Nur am Rande sei noch vermerkt, dass einige der englischen Texte von Wolfgang Wittrock aus Kaiserslautern übersetzt wurden. Wittrock ist zusammen mit Jörg Schreiner Vertrauensmann des Pfälzer Jerusalemsvereins.

 

Bild

https://de.wikipedia.org/wiki/Ulrich_Duchrow#/media/Datei:Duchrow_Ulrich_1.jpg
Wikipedia Creative Commons (gemeinfrei)