Urlich Duchrow
„Jenseits von Luthers Feindbilden“?
Die Anfänge dieses Werkes gehen zurück zu einem internationalen
Projekt „Die Reformation radikalisieren – provoziert von Bibel
und Krise“, deren Abschlusskonferenz 2017 in Wittenberg stattfand.
Der Bezug auf das Reformationsjubiläum und die in diesem Jahr immer
wieder diskutierte Judenfeindschaft Luthers, klingt auch im Untertitel
des Buches an. Doch so weit „jenseits von Luthers Feindbilden“,
wie dieser suggeriert, sind die Autoren dieser Aufsatzsammlung gar nicht.
Manche Stereotypen in Blick auf Israel, teilweise auch in Blick auf „die
Juden“ (zumindest die „konstantinischen Juden“)(1)
sind vom Judenhass des Wittenberger Reformators gar nicht so weit entfernt.
Ärgerlich an dieser Publikation ist aber nicht nur der permanent
antiisraelische Unterton, sondern auch – viel banaler – die
vielen sachlichen Fehler.
Kein Projekt des Westens
Das Buch ist gespickt von historischen Ungenauigkeiten, vor allem was
die Staatsgründung Israels und den anschließenden Unabhängigkeitskrieg
angeht. Viele dieser Ungenauigkeiten rühren von einem ideologisch
entstellten Geschichtsbild her, das Israel als „Extrembeispiel der
westlichen kolonialistischen, kapitalistischen, imperialen, wissenschaftlich-technischen,
rassistischen, gewalttätigen Eroberungskultur“ darstellt, „wie
sie sich in den letzten 500 Jahren entfaltet hat“ (S. 179). Ein
nüchterner Blick auf die Faktenlage zeigt, dass die Entstehung eines
jüdischen Staates kein „kolonialistsiches Projekt“ (S.
170) des „globalen Westens“ war, bei dem eine zionistische
Lobby die Strippen zog. Sie war das Ergebnis eines völkerrechtlich
völlig legal zustande gekommenen Teilungsplans, mit dem die Vereinten
Nationen endlich den Konflikt zwischen arabischen und jüdischen Bewohnern
des britischen Mandatsgebiets lösen wollten. Der Plan wurde am 29.
November 1947 von der UN-Generalversammlung mit großer Mehrheit
(33 dafür, 13 dagegen, 10 Enthaltungen) als Resolution 181 angenommen.
Zu den Befürwortern gehörten damals nicht nur die USA und der
Westen, wie das Buch an mehreren Stellen (z.B. S.93f.) unterstellt, sondern
auch die UdSSR und viele weitere kommunistische Staaten. Die Autoren vergessen
oder unterschlagen, dass viele Zionisten ideologisch dem Sozialismus durchaus
nahe standen. So nimmt es nicht Wunder, dass es weder die USA noch andere
westliche Staaten waren, die die jüdischen Einheiten mit Waffen versorgten,
sondern Staaten des späteren Warschauer Paktes, allen voran die Tschechoslowakei.
Israel als ein Projekt des Westens darzustellen, ist eine Rückprojektion
späterer Verhältnisse in die Frühphase dieses Staates.
Minderheitenrechte in Israel
Abgelehnt wurde ein Judenstaat auf einem Teil(2) des
britischen Mandatsgebiets v.a. von arabischen Ländern. Der Plan der
Vereinten Nationen verletze angeblich die Rechte der Mehrheitsbevölkerung
in Palästina. Doch erstens wäre in dem vorgeschlagenen jüdischen
Staat die nichtjüdische Bevölkerung mit 325.000 Einwohnern schon
damals numerisch in der Minderheit gewesen gegenüber den 498.000
Juden. Außerdem verbürgte Israel in seiner Unabhängigkeitserklärung
von Anfang an „all seinen Bürgern ohne Unterschied von Religion,
Rasse und Geschlecht, soziale und politische Gleichberechtigung“.
Der neue Staat wollte „Glaubens- und Gewissensfreiheit, Freiheit
der Sprache, Erziehung und Kultur gewährleisten, die Heiligen Stätten
unter seinen Schutz nehmen und den Grundsätzen der Charta der Vereinten
Nationen treu bleiben.“ Das heutige Israel Netanjahus aber droht
stellenweise hinter diesen Selbstanspruch zurückzufallen. Gerade
das jüngst verabschiedete Nationalitätsgesetz wird von der arabischen
Minderheit als ein Schlag ins Gesicht empfunden. Trotz allem fühlen
sich nach einer aktuellen Umfrage fast 80 Prozent der arabischen Israelis
„wohl“ oder „sehr wohl“. Sollte es je einen Palästinenserstaat
geben, die meisten von ihnen würden nicht dorthin ziehen.(3)
Die vertane Chance auf einen Palästinenserstaat
Wer behauptet, bei Israel handle es sich um „den einzigen Staat,
der jemals durch die UN geschaffen wurde“ (S. 76), vergisst, dass
auch die Palästinenser - der Begriff ist eigentlich ein Anachronismus
für die damalige Zeit – einen eigenen Staat zugesprochen bekamen
von einer Größe, von der sie heute nur noch träumen können.
Dass es dazu nicht kam, liegt schlicht und ergreifend daran, dass nach
der Unabhängigkeitserklärung Israels eine Allianz arabischer
Staaten dem Judenstaat den Krieg erklärte. Diese Koalition unterstützte
die „Armee des heiligen Krieges“, eine paramilitärische
Formation der Palästinenser unter Führung des Großmuftis
al-Husseini, während des Zweiten Weltkrieges einem engen Vertrauten
Adolf Hitlers. Sein erklärtes Ziel damals: Die Araber „sollten
gemeinsam über die Juden herfallen und sie vernichten“.(4)
Hätten er und seine Bündnisgenossen den Unabhängigkeits¬krieg
gewonnen, der Holocaust wäre wirklich zum „Ganzopfer“
geworden. Nicht Israel oder der Westen verhinderten die Entstehung eines
arabischen Staates in Palästina, wie ihn der Teilungsplan der UN
vorgesehen hatte, sondern vielmehr die divergierenden Interessen der arabischen
Feudalmächte. So riss sich nach dem verlorenen Krieg das benachbarte
Jordanien das Westjordanland und Ägypten den Gazastreifen unter den
Nagel. Was hätte sie damals gehindert, einen Palästinenserstaat
zu etablieren? Nichts, außer den eigenen Machtinteressen.
Flucht und Vertreibung
Ja, es stimmt, dass es im Zuge des Krieges und auch noch danach zu Vertreibungen
kam. Aber kann man wirklich wie Amjad-Ali von einer „totale(n) Zerstörung
des palästinensischen Volkes“ (S. 76) sprechen? Davon dass
die Gründungserklärung 1948 „die Palästinenser völlig
vernichtete“ (S.75)? Viele der palästinensischen Araber wurden
nicht vertrieben, sondern flüchteten in der Hoffnung, nach dem bald
gewonnen Krieg wieder zurückkehren zu können, in die arabischen
Nachbarstaaten. Es stimmt, dass die Flüchtlinge dort bis heute „noch
immer ausgegrenzt leben“ (S.75). Aber ist die menschenunwürdige
Behandlung der Palästinenser in arabischen Ländern wirklich
Israel anzulasten? Überhaupt nicht erwähnt wird in dem Buch
die etwa gleich große Zahl von Mizrahi-Juden, die während und
nach dem Unabhängigkeitskrieg aus arabischen Staaten vertrieben wurden.
Es wird noch lange dauern, bis auch ihre Leidensgeschichte im Diskurs
um Israel/Palästina ernst genommen werden wird. Doch diese Ignoranz
und Einseitigkeit passt zu dem Schwarz-Weiß-Denken, das praktisch
alle Aufsätze durchzieht: die Juden sind die Täter, die Palästinenser
die Opfer. Als ob die Dinge so einfach lägen.
Das Existenzrecht Israels
Nun wäre ein schlechtes Buch noch nicht unbedingt ein gefährliches
Buch. Gefährlich aber wird es, wenn man das Existenzrecht Israels
in Frage stellt. Nun hat Duchrow gegenüber den Medien behauptet,
eben dies sei nicht der Fall. Aber stimmt das wirklich für alle Beiträge?
Zumindest „die Vorstellung eines jüdischen Staates“ scheint
Braverman in Frage zu stellen (S.96). Permanent wird Israel delegitimiert,
indem man es in Verbindung bringt mit Schlagwörtern wie Triumphalismus,
Tribalismus, Habgier, Partikularismus und Territorialismus. Dem jüdischen
Autor scheint jedes Gespür dafür zu fehlen, dass viele dieser
Begriffe aus der Giftküche des klassischen Antisemitismus stammen.
Wohin die Vision der Autoren wirklich geht, schimmert durch, wenn M. Ellis
über eine Ära „nach dem Holocaust und nach Israel“
nachdenkt (S.143). Auch Amjad-Ali betont „die Wichtigkeit der Verneinung
jüdischer Rechte, Geschichte und Ansprüche auf dieses Land“
(S. 72). Wenig später fordert er, man solle „den guten Willen
und die Absichten, die den Staat Israel geschaffen haben, hinterfragen“
(S.81). Machen wir uns nichts vor: Das Existenzrecht Israels zu leugnen,
ist eines der Kennzeichen des aktuellen israelbezogenen Antisemitismus.
Das Machwerk Duchrows und seiner Kollegen haut kräftig in diese Kerbe.
Ein Ende des Erinnerns
Vordergründig bedauert man, was während des Holocaust geschah.
Doch schon im Vorwort wird kritisiert, der Holocaust werde „zunehmend
dazu benutzt, Kritik am Staat Israel zu diffamieren und niederzuschlagen“
(S. 9). Wie beides nach Sicht der Autoren zusammenhängt, lesen wir
weiter hinten im Buch: Die Vertreter des christlich-jüdischen Gesprächs
schließen mit der israelischen Regierung einen „ökumenischen
Deal“, der besagt: Wir werden so lange zu den „vergangenen
Schäden“ schweigen, solange ihr das Thema Israel im Dialog
ausspart (S. 112). Oder mit den Worten von Ellis: „Christen tut
Buße für Eure Sünden, steht fest zu Israel und schweigt
über die Palästinenserfrage“ (S.132). Statt immer wieder
über das Leiden der Juden zu sprechen, gelte es, den „Ruf der
heutigen Opfer zu hören“ (ebd.), der Palästinenser. Diese
Verschiebung des Focus begründet Braverman mit einem Zeitenwandel:
„Theologischen haben wir die ‚Post-Holocaust-Ära‘
verlassen und sind in die ‚Post-Nakba-Ära‘ eingetreten“
(S. 112). Die „Haltbarkeitsdauer“ des Holocausts nähere
sich seinem Ende (S.135), findet auch Ellis. Die Geschichte gehe weiter
(ebd.), überhaupt sei der Antisemitismus ja „erheblich zurückgegangen“
(S. 130). Muss man diese Aussagen noch weiter kommentieren, um zu erkennen,
wie nahe diese Aussagen dem Ansinnen rechtspopulistischer Strömungen
stehen, endlich einen Schlussstrich unter das Thema Auschwitz zu ziehen?
Vergleiche mit Nazi-Deutschland und Südafrika
Gebetsmühlenartig wird von einer „fortgesetzte(n) ethnische(n)
Säuberung und Kolonialisierung Palästinas“ (S. 123; ähnlich
S.10) gesprochen, „dem vergleichbar, dem Juden im Nazi Deutschland
zwischen 1933 und 1938 (sic!) ausgesetzt waren“ (S. 149). Nicht
nur bleibt man den Nachweis schuldig, dass bei den Vertreibungen oder
Diskriminierungen tatsächlich Rassismus als Motiv eine Rolle spielte.
Auch versucht man nicht einmal zu erklären, warum nach dem angeblichen
Genozid an der palästinensischen Bevölkerung heute noch immer
Millionen von Palästinensern in Israel und den besetzten Gebieten
leben. Trotzdem wird Israel immer wieder mit Nazi-Deutschland vergleichen,
das sich „zu einem faschistischen Staat“ entwickelt habe und
die „indigene Bevölkerung“ zu ghettoisieren versuche
(S. 146; ähnlich S. 149). Die Opfer von damals werden so zu den Tätern
von heute - ein typisches Kennzeichen des sog. sekundären Antisemitismus.
Aber nicht nur mit Nazi-Deutschland wird Israel verglichen, auch mit anderen
Unrechtsstaaten: So fällt immer wieder der Begriff „Apartheidsstaat“
(S. 84, 176f. u.ö.), der die Politik Israels in unmittelbare Nähe
der Rassendiskriminierung Südafrikas rückt. Beides, die Verbindung
zwischen Holocaust und Vertreibung der Palästinenser als auch den
Vergleich Israels mit Südafrika findet der Antisemitismusbeauftragte
der Bundesregierung Felix Klein, „sehr kritisch“ und „nicht
hinnehmbar“ – eine Einschätzung, der ich mich nur anschließen
kann.
Paulus und Luther
Bei aller Dominanz von politischen und historischen Topoi beschäftigen
sich doch einige Artikel des Buches auch ausführlich mit theologischen
Fragen. Am meisten ist das bei dem Beitrag von B. Kahl ausgeprägt,
der sich kritisch mit der Rechtfertigungslehre auseinandersetzt. Die Autorin,
Professorin am Union Theological Seminary in New York, entwickelt vor
dem Hintergrund der „New Perspective“ einen Blick auf den
Apostel, der sich wohltuend abhebt von der klassischen lutherischen Lesart.
Ihr kritischer Blick auf die dort zu findenden „Binaritäten“,
die einem gefährlichen Freund-Feind-Denken den Boden bereiten, ist
erfrischend. Schwer tue ich mir freilich, wenn sie den Begriff nómos
in den Paulusbriefen mit dem „imperialen Nomos“ der „Kaiserreligion“
identifiziert und damit jede Beziehung zur jüdischen Tora leugnet.
Ähnlich hebt sie die „Heiden“ (éthne) bei Paulus
ab von den biblischen Völkern (goijim) und liest den Begriff ganz
im Kontext des römischen Sprachgebrauchs. Natürlich war das
Judentum, aus dem Paulus kam, ein hellenisiertes Judentum. Aber ich halte
es für wenig wahrscheinlich, dass der Jude Paulus rein pagane Begriffe
in den Mittelpunkt seiner Theologie gestellt hat.
Mit Bonhoeffer gegen die Ketzer
Wer den Aufsatz Bravermans direkt nach dem von B. Kahl liest, dem müsste
eigentlich auffallen, dass das bei der Neutstamentlerin als gefährlich
entlarvte Freund-Feind-Denken für den Beitrag des jüdischen
Psychotherapeuten geradezu konstitutiv ist. Im Anschluss an Dietrich Bonhoeffer
und den Kirchenkampf sieht er in der gegenwärtigen Auseinandersetzung
um Israel/Palästina den status confessionis gegeben. Sein Feind ist
der christliche Zionismus, den er als „moderne christliche Häresie“
ansieht (S. 94). Sein dualistisches Weltbild wird deutlich durch Überschriften
wie „Falsche Kirche, wahre Kirche“ (S. 97) oder Sätze,
die beginnen mit Floskeln wie: „Der Kampf findet heute zwischen
zwei Polen statt…“ (S. 123). Ob Braverman weiß, dass
Bonhoeffer 1933 in einer Christologievorlesung sagte, „Israel werde
der Ort sein, an dem Gott seine Verheißungen erfüllt“?(5)
Ob er eingestimmt hätte in dessen Forderung: „Wer gregorianisch
singt, muss auch für die Juden schreien“?(6)
Jüdischer Befreiungtheologe gegen die Juden
Anders als für Braverman ist für Marc Ellis Bonhoeffer „zu
stark an Traditionen orientiert, zu biblisch und vor allem zu traditionell
christlich“ (S. 147). Er sieht sich selbst eher in der Tradition
der biblischen Propheten, hebt sich zugleich aber auch von ihnen ab. Erstens,
so betont er, kann er nach Auschwitz „keine Kräfte außerhalb
seiner selbst“ beschwören (S.144). Außerdem bezeichnet
er sich als „Keine Rettung-Propheten“ (S. 145), um sich von
den „Vielleicht-Rettung-Propheten“ früherer Zeiten zu
distanzieren. Dass es keine Rettung mehr gibt für Palästina,
liegt allein an „den Juden“. Wohlgemerkt: Nicht an Israel
allein, sondern dem weltweiten „Netz“, das „konstantinische
Juden“ angeblich gesponnen haben, um ihre Macht über diesen
Planeten zu sichern (S. 148). Mit seiner Beschwörung eines „jüdischen
Imperium(s) in Amerika und Israel“ (S.133; vgl. auch S. 136), bedient
er sich des Vokabulars antijüdischer Verschwörungstheorien,
die „den Juden“ vorwerfen, die Weltherrschaft an sich reißen
zu wollen.
„Ein zutiefst israelfeindliches Machwerk“
Ich glaube, die dargestellten Beispiele reichen, um sich ein Bild vom
Charakter des Buches machen zu können. Nach meiner Meinung hat der
Deutsche Koordinierungsrat der Gesellschaften für Christlich-Jüdische
Zusammenarbeit Recht, wenn er es als „ein zutiefst israelfeindliches
Machwerk“ bezeichnet. Es sei „unfassbar“, so heißt
es in einer Stellungnahme, „dass ein deutscher Theologe heute mit
einem derartigen Feindbild über Israel an die Öffentlichkeit
tritt!“ Auch der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung,
Felix Klein, hält das Buch für „deutlich antisemitisch“.
Der Chef des LIT-Verlags Wilhelm Hopf gab in einer Stellungnahme gegenüber
der Jüdischen Allgemeinen zu, der Band „hätte in unserem
Verlag nie erscheinen dürfen“. Kurioses Detail: Die EKD dementierte
im Nachhinein, dass sie je dieses Projekt finanziell unterstützt
habe, wie die Danksagung im Vorwort unterstellt. Auf Nachfrage der Zeitung
„Die Welt“ an Bedford-Strohm teilte ein Sprecher der EKD mit:
„Von dem Text von Herrn Duchrow distanziert sich die EKD inhaltlich
ausdrücklich.“(7) Auch andere Landeskirchen,
die an der Finanzierung beteiligt gewesen sind, bestreiten im Nachhinein,
irgendwelche Details gekannt zu haben.
Die Grenze zwischen legitimer Kritik an Israel
und Antisemitismus
Nun könnte man die Geschichte dieser Publikation gerade als Beleg
dafür anführen, dass eine Kritik am Staat Israel heute in Deutschland
gar nicht mehr möglich ist. Doch ist das wirklich wahr? Einmal abgesehen
von der hybriden Selbstüberschätzung, mit der sich die Autoren
in eine Reihe mit Gandhi, Bonhoeffer und den biblischen Propheten stellen,
abgesehen auch von den zahlreichen historischen Ungenauigkeiten und ideologischen
Stereotypen, mit denen hier gearbeitet wird, hätte man das Buch als
vielleicht etwas einseitige, aber doch legitime Stellungnahme im Nahostkonflikt
lesen können. Das wäre dann der Fall gewesen, wenn sich die
Autoren an die folgenden vier Standards gehalten hätten, die (nach
Yad va-Shem) die Grenze zwischen legitimer Kritik an Israel und Antisemitismus
markieren: Kritik an Israel ist dann legitim, wenn sie (1.) Israel mit
dem gleichen Maß misst wird wie andere Völker und Staaten auch,
(2.) das Existenzrecht Israels anerkennt, (3.) sich antijüdischer
Stereotype enthält und (4.) Vergleiche mit den Ereignissen im Dritten
Reich unterlassen werden. Es gibt aber, wie meine Besprechung gezeigt
hat, praktisch keines dieser Kriterien, gegen das die Publikation nicht
verstößt. Es ist deshalb als klar antisemitisch zu bezeichnen.
Neuauflage in der Pfalz?
Normalerweise hätte sich die Debatte über dieses Buch eigentlich
erledigt. Die Restexemplare der Erstauflage werden auf der Webseite von
Frau Hecht-Galinski(8) verscherbelt, die den „mutigen
Theologieprofessoren“, Ulrich Duchrow und Hans G. Ulrich dankt für
ihren mutigen Einsatz für Palästina. Auch bei der Online-Buchhandlung
Otterstadt kann man noch Exemplare des Buches beziehen. Von deren Besitzer
Hrn. Hirschler habe ich auch dankenswerterweise mein Rezensionsexemplar
erhalten, nachdem beim LIT-Verlag nichts mehr zu bekommen war. Es ehrt
ihn, dass er mir das Buch zur Verfügung hat, obwohl ich ihm ganz
signalisierte, dass meine Besprechung möglicherweise nicht so positiv
ausfällt. Es fragt sich aber schon, was ihn antreibt, dieses Machwerk
unter neuer ISBN-Nummer weiter zu vertreiben, vielleicht sogar eine Neuauflage
drucken zu lassen. Will er sich wirklich an der Israelhetze beteiligen,
die heute neben dem sog. sekundären Antisemitismus die am meisten
virulente Form der Judenfeindschaft in Deutschland ist?(9)
Will er damit wirklich der Hamas, die in dem Buch (S. 86) als „eine
seriöse politische Kraft mit großer sozialer Tiefe“ bezeichnet
wird, ideologische Schützenhilfe leisten, wenn sie Israel mit Feuerdrachen,
Granaten und Raketen beschießt? Ich hoffe, dass er es sich noch
einmal anders überlegt, damit dieses Buch nicht in einem Atemzug
mit dem Namen unserer Landeskirche genannt wird.(10)
Anmerkungen
(1) Mehr zu
dem Begriff „konstantinische Juden“ weiter unten.
(2) Die Gebiete östlich
des Jordans wurden 1946 dem haschemitischen Jordanien zugeschlagen.
(3) Quelle: Zweiter
Pluralismus-Index des „Jewish People Policy Institute“ (JPPI)
von 2017; vgl. https://www.israelnetz.com/gesellschaft-kultur/gesellschaft/2017/04/21/araber-und-juden-gluecklich-in-israel-aber-nicht-zusammen/
(4) K.M. Mallmann
und M. Cüppers: Halbmond und Hakenkreuz. Das „Dritte Reich“,
die Araber und Palästina, 2. Aufl. Darmstadt 2007, S. 249.
(5) Dietrich Bonhoeffer
Werke (DBW 12): Berlin 1932 - 1933, Christian Kaiser Verlag/Gütersloher
Verlagshaus, Gütersloh 1997, S. 308.
(6) Ausspruch Bonhoeffers
bei den Predigerseminaren, die er seit 1935 in Pommern für die „Bekennende
Kirche“ hielt.
(7) https://www.welt.de/politik/deutschland/plus176514216/Christlicher-Antisemitismus-Mit-der-Bibel-gegen-Israel.html.
(8) http://sicht-vom-hochblauen.de/.
(9) Vgl. dazu: S.
Meißner: Latenter Antisemitismus bei 20 Prozent der Bevölkerung
Der Antisemitismus-Bericht der Bundesregierung: eine Herausforderung für
die Kirchen; online: http://www.imdialog.org/bp2012/02/meissner.pdf.
(10) Nur am Rande
sei noch vermerkt, dass einige der englischen Texte von Wolfgang Wittrock
aus Kaiserslautern übersetzt wurden. Wittrock ist zusammen mit Jörg
Schreiner Vertrauensmann des Pfälzer Jerusalemsvereins.
Bild
https://de.wikipedia.org/wiki/Ulrich_Duchrow#/media/Datei:Duchrow_Ulrich_1.jpg
Wikipedia Creative Commons (gemeinfrei)
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