Johannes Gerloff: Die Palästinenser.
Volk im Brennpunkt der Geschichte

Rezension von Stefan Meißner

 

Gebunden , 384 S.
Verlag: SCM Hänssler
ISBN: 978-3-7751-5337-9
13,5(B) x 20,5(H) x 2,5(T) cm
2. Auflage , Oktober 2011
Preis: € 19,99

Johannes Gerloff gibt unumwunden zu: „Die Political Correctness hat mir das Thema des Buches aufgezwungen“ (S.8). Über die Palästinenser schreibt er nur wegen der Ausgewogenheit, wie er sagt (S.7). Eigentlich schlägt sein Herz für Israel – und das merkt man seinem Buch auch an.
Der evangelische Theologe lebt in Jerusalem und hat als Journalist bereits den ganzen Nahen Osten bereist. In seinem sachkundigen, wenn auch nicht immer sachlichen Buch verarbeitet eine Reihe von spannenden Begegnungen: So beschreibt er die aufgeheizte Stimmung bei der Bestattung von Palästinenserführer Arafat (S.37ff.), dessen Werdegang vom Terrorchef bis zum Friedensnobelpreisträger er mit deutlicher Distanz nachzeichnet (S.25-36). Er beschreibt bedrückende palästinensische Flüchtlingsschicksale (S.43-55), macht dafür aber nicht einseitig die israelische Besatzungsmacht verantwortlich, sondern verweist zu Recht auf die Mitverantwortung der Araber an diesem Elend. Scheich Madschid Atta, ein Hamas-Führer aus Deheische, einem Flüchtlingslager südlich von Bethlehem, gibt gegenüber Gerloff unumwunden zu: „Eine humanitäre Lösung der Flüchtlingsfrage hätte unseren Zwecken nicht gedient“ (S.52).
Der Autor ist einer der wenigen deutschsprachigen Journalisten, die auch auf die „Kehrseite der Medaille“ (S.54ff.) aufmerksam machen. In einem ganzen Kapitel verleiht er den 856.000 Juden eine Stimme, die durch Flucht oder Vertreibung ihre Heimat in arabischen Ländern verloren haben. So erzählt Schlomo Hilel die Geschichte seiner Mutter, die 1947 mit ihren Schwestern nach einem Pogrom den Irak in Richtung Palästina verlassen hatte. Diese sog. „Mizrahi-Juden“ – so erfährt man fast nebenbei - verloren bei ihrer Flucht viermal so viel Boden wie das heutige Israel groß ist. Es sind Stories wie diese, unterfüttert durch gut recherchierte Informationen, die Gerloffs Palästinenser-Buch zu einer wertvollen Quelle machen für alle, die sich ein ausgewogenes Bild des Nahost-Konfliktes machen wollen. Dabei ist das Buch selbst alles andere als ausgewogen: Immer wieder ergreift der Autor Partei für die israelische Seite: Etwa wenn er die vielen bewaffneten Auseinandersetzung und gescheiterten Friedensgespräche darstellt, wird sein Standpunkt überdeutlich. Auch wenn er – zuweilen etwas langatmig - die palästinensischen Christen in den Blick nimmt (S. 211ff.), macht er aus seinem Herz keine Mördergrube. Die so überdurchschnittlich gebildete und ursprünglich auch einflussreiche Minderheit, so Gerloffs These, wird unter dem wachsenden Einfluss eines muslimischen Extremismus immer mehr auf einen Dhimmi-Status (S. 304 u.ö.) zurückgedrängt. Dass viele Christen – wie übrigens auch in anderen arabischen Staaten - ihre angestammte Heimat verlassen, habe weniger mit der israelischen Besatzungspolitik als vielmehr mit diesem wachsenden innerpalästinensischen Druck zu tun, der sich zuweilen gar gewaltsamen Übergriffen entlädt.
Das Schlusskapitel „Was sagt die Bibel zur Palästinenserfrage?“ (S. 333ff.) lässt den Leser manchmal etwas ratlos zurück: Welche Bedeutung misst der Autor wohl der Heiligen Schrift in der heutigen Auseinandersetzung um „das Land“ bei, wenn er die Sätze prägt wie: „Fremdlinge haben zwar kein Recht auf das Land, aber ein von Gott verliehenes Recht im Land. (S.374)? Kann man die Palästinenser wirklich als „Fremdlinge“ bezeichnen? Ist das Land wirklich „ausschließlich dem Volk Israel als Erbteil gegeben“ (S.373)? Fassen solche Worte schon den biblischen Befund nur recht unzureichend zusammen, so sind sie, ohne hinreichende hermeneutische Einbettung, als Maßstab für den heutigen Nahostkonflikt sicher keine große Hilfe. Hier schrammt der Autor stellenweise an einem Biblizismus vorbei, der im Endeffekt keinem der Konfliktpartner nützt – auch Israel nicht.
Wie schon gesagt: Gerloffs Buch über „Die Palästinenser“ ist alles andere als ausgewogen und „politisch korrekt“. Es könnte freilich zu einem ausgewogeneren Bild des Nahost-Konfliktes beitragen, wenn man es als notwendiges und längst überfälliges Korrektiv zu einer heute in den Medien allzu wohlfeilen Israel-Schelte ansieht. Hierfür leistet es mit seinen knallharten, manchmal schon fast unbarmherzigen Analysen einen wertvollen Dienst. Wer hingegen eine neutrale, kritiklose oder gar verklärende Darstellung dieses böse unter die Räder der Geschichte geratenen Volkes erwartet, der lasse seine Finger besser weg von Gerloffs meines Erachtens durchaus lesenswertem Buch.

Liktipp:

Rezension von Mark Braverman: "Verhängnisvolle Scham" (Hanna Lehming)

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