Die Gewalt verstellt die Botschaft

Mel Gibson ignoriert in "Die Passion Christi" die Erkenntnisse der Bibelforschung

von Roman Heiligenthal


Fußknochen eines Gekreuzigten, Israel-Museum/Jerusalem

Nach dem Ende von Gibsons Film „die Passion Christi“ sah ich in die Gesichter meiner Mitzuschauer. Man sah versteinerte Mienen. Es schien so, als ob sie sich mit einer harten Schale umgeben hätten, um das Unfassbare zu ertragen. Mel Gibsons Passion Christi reduziert das Leben und die Botschaft des Jesus von Nazareth auf die letzten zwölf Stunden seines Lebens. Er ist das Protokoll einer der grausamsten Hinrichtungsarten, die die Antike kannte. Kein Sandalenfilm im Stile von Ben Hur, sondern der brutalste Hollywoodschocker, den ich bisher gesehen habe. Quälend lang reiht sich eine Folterungsszene an die andere. In bester Tonqualität hört man wie Knochen brechen, Blut spritzt, Fleisch aufplatzt. Ein Film für die ganz Hartgesottenen, fast pornographisch in seiner Detailverliebtheit, mit Sicherheit aber voyeuristisch.

Man stelle sich einmal vor, man hätte das Martyrium Dietrich Bonhoeffers in diese Weise verfilmt. Man hätte verfilmt, wie er sich im KZ Flossenbürg nackt ausziehen musste, zum Galgen über den Hof getrieben wurde, wie man ihn mit einer dünnen Schnur zwecks langsamen Erdrosselns an einen Haken hängte. Ein solcher Film wäre zurecht nie in die Kinos gekommen. Die brutale, erbarmungslos realistische Darstellung von Grausamkeiten schockiert, verstellt aber die Möglichkeit Leiden nachzuempfinden, mitzufühlen und mit zu leiden. Die digitale Inszenierung von Grausamkeiten stumpft ab, verstört und verhindert ein nachempfindendes Nachdenken über den Sinn des Leidens. Gibson hat einen Film gedreht, der den Sinn des Opfertodes Christi für uns Menschen, also den Kern der christlichen Botschaft, nicht hilft zu entziffern. In diesem Sinn ist sein Film erschreckend oberflächlich. Religiös ist er nur im Sinne eines mittelalterlichen Glaubensverständnisses, so wie es sich bis heute in ultra-katholischen Kreisen erhalten hat. Es ist kein Zufall, dass sich Mitglieder des Opus Dei selbst geißeln und Stachelgürtel tragen. Von daher steht hinter der filmischen Reduktion des Lebens Jesu auf seine letzten zwölf Stunden auch ein erzkonservatives theologisches Programm. Wer allein und ausschließlich den Opfergedanken ins Zentrum stellt, braucht sich über die weltverändernde ethische Dimension der Botschaft Jesu keine Gedanken mehr zu machen. So lässt es sich bequem fromm sein im Zeitalter des Turbokapitalismus.

Heftig wird darüber gestritten, ob Gibson den Antisemitismus seines Vaters hier filmisch umgesetzt hat. Wer die Evangelien ohne historisches Nachdenken als Drehbuch verwendet, gerät zwangsläufig in antisemitisches Fahrwasser. Die Evangelien sind keine Augenzeugenberichte, sondern schildern die Passion Jesu aus der Perspektive einer gerade sich entwickelnden Religion, die sich in einem schmerzhaften Prozess vom Judentum getrennt hat. Man hatte auch ein Interesse daran, die jüdische Schuld am Tod Jesu als besonders groß darzustellen, um es sich mit den herrschenden Römern nicht zu verderben. Nicht die Juden, wie es der Film suggeriert, hatten ein Interesse am Tod Jesu, sondern ganz bestimmt Kreise: Die Tempelaristokratie, die mit dem Tempelkult in Jerusalem eintägliche Geschäfte machte, waren die eigentlichen Drahtzieher. Nicht die Pharisäer, nicht die einfachen Juden auf dem Land, die Jesus verehrten, nein: eine kleine Clique der jüdischen Oberschicht sah in der Kritik Jesu an der kommerziellen Vermarktung des Tempels eine Bedrohung. Mel Gibson übernimmt die biblische Passionsgeschichte völlig kritiklos und tut so, als habe er einen historischen Tatsachenbericht vor sich.

Auch die Rolle der Römer wird höchst oberflächlich gezeichnet. Pontius Pilatus war ein Skeptiker, den religiöse Angelegenheiten nur dann interessierten, wenn er die Herrschaft Roms im allgemeinen und seine eigene Stellung insbesondere bedroht sah. Er verurteilte Jesus zum Tode, weil er in ihm einen Aufrührer gegen die Besatzungsmacht sah. Es ist historisch höchst unwahrscheinlich, dass er sich zum Handlanger jüdischer Interessen machen ließ. Er verfolgte eigene Zwecke und hatte deshalb auch nicht das Bedürfnis, seine Hände in Unschuld zu waschen. Die ist eine christliche Interpretation mit dem alleinigen Ziel, die Schuld der Römer am Kreuzestod möglichst gering erscheinen zu lassen. Nicht umsonst wurde in der Alten Kirche der römische Statthalter zum Heiligen hochstilisiert. All dies ist in der theologischen und historischen Forschung „common sense“. Gibson nimmt ihn mit seinem fundamentalistischen Ansatz nicht zur Kenntnis. Übrigens nimmt er auch nicht zur Kenntnis, dass Jesus auf keinen Fall lateinische gesprochen hat. Vielleicht konnte er neben aramäisch ein wenig Griechisch, das die allgemeine Verkehrssprache war.

Der Film Gibsons macht die Sinne taub. Er wirbt nicht für Botschaft Jesu, sondern hinterlässt verstörte Zuschauer. Es verwundert mich nicht, dass die nordelbische Kirche Pfarrer in die Kinos schickt, um Seelsorge an Filmbesuchern zu üben.

Weiterführender Link: Wer war schuld am Tode Jesu?

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