Joseph in Ägypten
Die Josephsgeschichte in der Bibel und in Thomas Manns Josephsromanen

von Gabriele Gierlich

 

In der biblischen Geschichte (Gn 37,1ff.) wird Joseph, Lieblingssohn seines Vaters Jakob, von seinen Brüdern, die ihn um seine Stellung beim Vater beneiden und deshalb inbrünstig hassen, in der Wüste in einer Zisterne versenkt, in der Absicht, ihn umzubringen. Dort wird er von vorbeiziehenden midianitischen Kaufleuten entdeckt und an die Ismaeliter verkauft, die Joseph schließlich nach Ägypten bringen. In Ägypten tritt er in die Dienste eines Hofbeamten des Pharao mit Namen Potiphar. Die folgende Erzählung spielt in Ägypten und der Autor der biblischen Josephsgeschichte erweist sich dabei als Kenner der ägyptischen Verhältnisse. Das fängt mit dem Namen Potiphar an, der übersetzt bedeutet: „Einer, den Re (der Sonnengott) gegeben hat“. Der Pharao selbst wird nicht mit Namen genannt, nur mit dem Titel „Pharao“ bedacht. Dieser Titel leitet sich ab von dem ägyptischen Wort Per-aa, was so viel wie „Großes Haus“ bedeutet und den königlichen Palast meint. Den ägyptischen König nach seiner Residenz als Pharao zu titulieren findet ab dem Neuen Reich (16. Jh. v. Chr.) Gebrauch, wenn auch eher selten. In der Bibel werden allerdings alle ägyptischen Könige als Pharao bezeichnet.(1)

Potiphar ist verheiratet und dessen Frau, die in der Bibel anonym bleibt, tritt an Josef heran und will ihn verführen.(2) Joseph aber weist sie in Loyalität zu Potiphar, der ihm seinen gesamten Hausstand anvertraut hat, mit den Worten zurück: „Wie könnte ich da ein so großes Unrecht begehen und gegen Gott sündigen?“ (Gn 39,9). Die Begriffe im hebräischen Urtext lauten für „Unrecht“ „ra´ah“ und für „sündigen“ „chata´“.(3) „Chata´“ bedeutet eigentlich „sich verfehlen, fehlgehen“, entspricht im Griechischen dem Verb „hamartanein“ und im Lateinischen „peccare“, die beide ebenfalls die Bedeutung „fehlgehen, straucheln“ haben.(4) Der Begriff „Sünde“(5) verdankt sich dem Christentum und meint immer eine gegen Gott gerichtete Übertretung des göttlichen Gesetzes, auch wenn heutzutage der Begriff Sünde trivialisiert ist und seine ursprüngliche Bedeutung verloren hat.(6) Joseph spricht ausdrücklich von einer „Verfehlung gegen Gott“. Das Wort „chata´“ im Alten Testament hat nämlich nicht ausschließlich Gott als Adressaten, obwohl das deutsche Wort in christlichem Verständnis in diesen engeren begrifflichen Kontext gefasst ist. Das hebräische Wort lässt sich auch in Bezug auf eine Schuld gegenüber den Menschen anwenden und ist deshalb in seiner Grundbedeutung allgemeiner, auch wenn das Wort häufiger in religiöser Deutung gebraucht wird.(7) Es hat deshalb einen Sinn, dass Joseph dem Wort chata´ ein ergänzendes „gegen Gott“ hinzufügt.

Mit seinem Tun schädigt der Sünder nicht nur sich selbst, sondern auch Gott ist davon betroffen.(8) Deshalb zieht jede Sünde eine Reaktion Gottes nach sich. Denn der Gott des Alten Testamentes ist nicht der aristotelische unbewegte Beweger (Arist. Met. XII), sondern ein emotionaler Gott, der Eifersucht und Rache kennt, den Menschen wegen ihrer Frevel zürnt, sie dafür bestraft, aber auch Gnade walten lässt.
Die Versuchung Josephs durch Potiphars Frau, Ehebruch zu begehen, stellte auch für die alten Ägypter ein schweres Vergehen dar, auch wenn es nicht als todeswürdiges Verbrechen eingestuft wurde.
Denn in Ägypten kannte man die Vorstellung von einem Totengericht, vor dem sich jeder Verstorbene rechtfertigen musste. Unter den Vergehen, die der Tote dort vor den Richtern der Unterwelt bekennt, gehört auch, keinen Ehebruch begangen zu haben. Da das „Sündenbekenntnis“ vor den Richtern der Unterwelt in verneinter Form aufgeführt ist, d.h. dass der Verstorbene aufzählt, was er alles nicht getan hat, spricht man auch von einem „negativen Sündenbekenntnis“.(9)

Als Joseph, wie das Alte Testament erzählt, das Ansinnen der Frau Potiphars zurückweist, bezichtigt sie ihn aus enttäuschter Liebe und daraus resultierendem Rachebedürfnis der versuchten Vergewaltigung und zeigt diese bei ihrem Mann an. Der lässt darauf Joseph ins Gefängnis werfen. Weil sich Joseph dort als Traumdeuter hervortut, erregt er die Aufmerksamkeit des Pharao, der ihn bald zum obersten Beamten in Ägypten, zum zweiten Mann im Staate, macht. Der Pharao verleiht ihm den Namen Zafnat-Pa`neach, der tatsächlich ägyptischen Gepflogenheiten entspricht und wohl zu übersetzen ist mit: „Gott spricht, er soll leben“.(10) Interessant ist außerdem, dass im Alten Testament eine sprachliche Wendung überliefert ist, die wiederum darauf hinweist, dass der Autor sich in ägyptischen Verhältnissen auskennt. Josephs hohe Stellung am Hof des Pharao gebietet, dass bei seinem Auftreten in der Öffentlichkeit „´avrech“ ausgerufen wird. Die Herkunft dieses Wortes ist unklar. Es könnte sich um einen ägyptischen Ausdruck handeln im Sinne von „jb r.k“ (Das Herz zu dir), was man mit „Aufgepasst, Achtung!“ übersetzen könnte. Leider ist dieser Ausdruck im Ägyptischen nicht belegt. Eine andere Deutungsmöglichkeit bestünde über das hebräische Wort berech – „segnen, begrüßen, glücklich preisen“, das auch in den ägyptischen Sprachschatz eingewandert ist und dort die Bedeutung „dienen, opfern, huldigen“ annimmt.(11) Es könnte sich um einen Imperativ handeln im Sinne einer Aufforderung, Joseph zu huldigen oder ihn zu preisen.

Dass die Josephsgeschichte in der Bibel nur eine sehr kurze Episode darstellt, hat schon Goethe bemerkt und fühlte sich bemüßigt, diese auszuschmücken.(12) Das tat er auch in einem leider heute verschollenen Werk, so dass es an Thomas Mann war, die Anregung Goethes aufzugreifen und diese Lücke zu füllen.(13) Thomas Manns Begeisterung für Goethe hat auch dazu geführt, dass er teilweise die Gestalt des Joseph im Äußeren und im Charakter an die Person Goethes anglich.(14) Thomas Mann hat Josephs „Biografie“ in einer Tetralogie nacherzählt, deren Bearbeitung 16 Jahre in Anspruch nahm. In aller epischen Breite, mit ausführlichen Dialogen und philosophisch-theologischen Gedankengängen, verlebendigt er die in der Bibel kurz gefasste Josephsgeschichte und lässt den Leser in die Welt und das Kolorit des alten Ägypten eintauchen. Thomas Mann hat auch hier, wie für alle seine Werke, ausführliche Studien betrieben und sich mit Ägypten vertraut gemacht. Zweimal reiste er selbst nach Ägypten (1925 und 1930). In seiner Romantetralogie um Joseph und seine Brüder ist der 3. und 4. Teil Josephs Aufenthalt in Ägypten gewidmet. In Ägypten angekommen, erhält Joseph bei Thomas Mann den Namen Osarsiph, der sich aus der Zusammensetzung des ägyptischen Gottesnamens Osiris und dem Namen Joseph ergibt. Dieser Name entspringt nicht reiner Phantasie. Er taucht schon in der Antike bei Flavius Josephus auf in seiner Schrift „Contra Apionem“, wo ein Exzerpt des Manetho, eines ägyptischen Priesters aus dem 3. Jh. v. Chr., zitiert wird. Dort ist die Rede davon, dass unter Pharao Amenophis III. 80.000 Aussätzige aus Ägypten vertrieben wurden. Diese hatten einen Anführer, einen Priester namens Osarsiph, der später den Namen Moses annahm. Joseph und Moses werden also hier zu einer Person.(15)

Auch die Potiphargeschichte wird bei Thomas Mann natürlich thematisiert und ausgeschmückt. Den Namen Potiphar deutet er richtig als „Geschenk des Re“, aber auch Potiphars Frau erhält hier einen Namen und zwar ebenfalls einen typisch ägyptischen. Sie heißt „Mut-em-enet“, was übersetzt bedeutet: „(Göttin) Mut im Wüstental“. Die Göttin Mut galt bei den Ägyptern als Liebesgöttin, mit dem Wüstental ist der Bestattungsort in der Wüste gemeint, also eigentlich die Totenstadt, ein wahrhaft sprechender Name für eine Frau, die in unerfüllter Sexualität lebt. Denn bei Thomas Mann ist Potiphar ein Eunuch.(16) Der Versuch, Joseph zu verführen, entspringt also weniger einer moralischen Verwerflichkeit Mut-em-enets als einem verständlichen menschlichen Bedürfnis, wodurch Thomas Mann Potiphars Frau ausdrücklich gegenüber der biblischen Version zu entlasten gedenkt. Als Joseph bei Thomas Mann von Mut-em-enet umgarnt wird, beruft er sich auf seine Verpflichtung zur Keuschheit, die im Bibeltext aber gar keine Rolle spielt. Dort geht es um Anstand gegenüber seinem Dienstherrn Potiphar und Furcht vor einem Frevel gegen Gott. Bei Thomas Mann liest sich Josephs Begründung der Keuschheit so: „Ja, auch Gott, der Herr, war einsam in seiner Größe, und Joseph hatte es im Blut und Gedächtnis, wie sehr das Alleinsein des weib- und kinderlosen Gottes beitrug zur Erklärung seiner großen Eifersucht auf den mit den Menschen geschlossenen Bund“ (Joseph in Ägypten, S.218). Die Zurückweisung der Mut-em-enet beruht hier also darauf, dass Joseph sich für den „keuschen“ Gott selbst zur Keuschheit verpflichtet. Er nennt sich „gottverlobt“, so dass für ihn der Versuchung nachzugeben nichts anderes bedeuten konnte als „Adams Torheit zu wiederholen“ (Joseph in Ägypten, S.465). Mut-em-enet wird von Thomas Mann auch mit einer Schlange verglichen, wodurch sich der Gedanke der „Schlange im Paradies“ aufdrängt, die die ersten Menschen zum Sündenfall verführt.(17)

Thomas Mann fügt aber noch weitere Ablehnungsgründe Josephs hinzu. So fühlt sich Joseph abgestoßen, weil Mut-em-enet mit ihrer Initiative und ihrem Werben um ihn quasi eine männliche Rolle eingenommen hat.(18) Dies bringt er mit einer Abwertung der ägyptischen Kultur in Verbindung, die er mit Unmoral und Unzucht gleichsetzt. Ägypten ist für Joseph ein „Land der Tier- und Leichenanbeter“ (Joseph in Ägypten, S.467), vor dem schon sein Vater Jakob Abscheu gehegt hat. Die intensive Ausrichtung der Ägypter auf das Leben nach dem Tod und die große Bedeutung ihrer Totengötter ruft Josephs Missfallen hervor, weil sein Gott, wie immer wieder bei Thomas Mann betont wird, ein Gott der Lebenden ist. Auch in dieser Hinsicht erweist sich der ägyptische Name von Potiphars Frau Mut-em-enet (Göttin Mut im Wüstental=Liebesgöttin im Totenreich) wieder als sehr treffend. Bleibt im Alten Testament der Pharao auch anonym, bei Thomas Mann erhält er einen Namen. Es ist Pharao Amenophis III., in dessen Regierungszeit er die Josephsgeschichte versetzt(19) und Amenophis´ Sohn ist kein Geringerer als Echnaton, den Thomas Mann mit dem Namen Neb-nef-nezem (Herr des süßen Hauches) belegt, der sich auch durch Zeitzeugnisse nachweisen lässt. Echnaton war es, der in Ägypten den Monotheismus einführte, indem er die herkömmlichen Götter abschaffte und nur noch seinen Sonnengott Aton gelten ließ, der als Schöpfergott in Form der Sonnenscheibe mit davon ausgehenden Strahlenhänden dargestellt wurde. Bevor sich der Pharao in Echnaton („Dem Aton wohlgefällig“) umbenannte, hieß er Amenophis IV., was so viel bedeutet wie „(Gott) Amun ist zufrieden“. Bei Thomas Mann treten Joseph und Echnaton in einen intensiven Dialog ein, in dem sich die Gelegenheit ergibt, die Namensänderung des Pharao zu begründen und über den neuen Gottesglauben Echnatons zu diskutieren.(20) Die Frage des Pharao, welchen Gott denn Joseph verehre, führt zu einer begrifflichen Abgrenzung, die den Unterschied zwischen hebräischem und ägyptischem Monotheismus herausarbeitet. Der hebräische Gott ist transzendent, der Gott des Echnaton dagegen ist weltimmanent, da als Schöpfer von allem die sichtbare Sonnenscheibe verehrt wird, die keinen unsichtbaren Schöpfer mehr über sich hat. Da Echnaton alle anderen Götter, darunter auch die des Totenreiches, die über den Verstorbenen zu Gericht sitzen, abschafft, gibt es bei ihm keine moralische Instanz mehr, die Gut und Böse beurteilt. So moniert Echnaton auch den ägyptischen Namen des Joseph „Osarsiph“, da dieser Name auf den Totengott Osiris hinweist, den Echnaton nicht mehr verehrt wissen will.(21)

Die „alte“ Religion, die mit ihrer Drohung eines Totengerichtes Angst und Schrecken verbreitete, soll sich zu einer Religion der Freude und Liebe verwandeln. Echnatons Sonnengott Aton, der gleichermaßen „neutral“ über alle Menschen und über Gut und Böse scheint, ohne ein Urteil zu fällen, steht im Gegensatz zum hebräischen Gott, der Schöpfer und Richter in einem ist.(22) Auch die Parallelen, die zwischen Ps. 104 und dem Sonnenhymnus Echnatons in der Forschung immer wieder gezogen wurden, was sogar so weit ging, dass man eine Abhängigkeit des hebräischen Monotheismus von der Religion Echnatons ableiten wollte, erscheinen nur vordergründig. In beiden Gesängen wird zwar die Natur in all ihrer Schönheit gepriesen, aber in der Bibel ist klar gesagt, dass Gott die Erde schuf mit all ihren Geschöpfen und auch die Sonne sein Werk ist, während es bei Echnaton die Sonne ist, die die Natur belebt. Sie ist der sichtbare Schöpfer am Himmel. In Echnatons Sonnenhymnus liest sich das so: „Deine Strahlen umarmen die Länder, ja alles, was du gemacht hast.“(23) Im 104. Psalm (1-2) heißt es: „Lobe den Herrn, meine Seele! / Herr, mein Gott, wie groß bist du! ... Du hüllst Dich in Licht wie in ein Kleid, / du spannst den Himmel aus wie ein Zelt.“ Zwar ist Echnaton im Gespräch mit Joseph geneigt, jenseits der Sonnenscheibe einen transzendenten Gott für möglich zu halten. Doch macht er deutlich, dass er diese Gottesauffassung nicht dem Volk vermitteln könne, weil sie zu radikal sei, zumal schon seine Abschaffung des polytheistischen Pantheons genug Sprengstoff biete. Diese Auffassung hat allerdings mit dem historischen Echnaton nichts zu tun. Der suchte über dem „Aton am Himmel“ keinen „Herrn des Aton im Himmel“.(24) Den Gedankenaustausch der beiden Protagonisten über das Wesen des alleinigen Schöpfergottes hat Thomas Mann als Höhepunkt des Buches konzipiert. So sagte er in einem Interview in der Wiener Neuen Presse vor einer ersten Lesung aus den Josephsromanen: „Ich habe Grund zu hoffen, dass Joseph, der Sprößling des jungen ebräischen Monotheismus, sich mit seinem Pharao, dem religiös so kühn begabten Echnaton, gut unterhalten wird.“(25) Und das hat er in der Tat!


Fußnoten

(1) Als offizieller Titel vor dem Königsnamen ist „Pharao“ erst seit dem 10. Jh. v. Chr. nachweisbar (J. v. Beckerath, S.31).
(2) Joseph gerät durch Potiphars Frau in eine eindeutige Versuchungssituation. Jan Assmann (S. 143f.) behauptet allerdings, dass im Alten Testament der Begriff der Versuchung fehlt. Versuchung spiele erst im Neuen Testament, also im christlichen Kontext, eine Rolle. Zwar fällt in der Potiphargeschichte nicht das Wort Versuchung selbst, aber im Alten Testament ist der Begriff der „Versuchung“ wohl bekannt. Gott stellt dort die Menschen auf die Probe und führt sie in Versuchung (Gn 22,1; Ex 20,20; Dt 8,2; 8,16; 13,4; 33,8 usw.), aber auch die Menschen können Gott versuchen (Ex 17,2; 17,7; Nu 14,22; Dt 6,16). In jüdischen Sagen wird ebenfalls die Josephsgeschichte (wohl 8. Jh.) bearbeitet (in: M.J. bin Gorion, Die Sagen der Juden, Bd.3: Die zwölf Stämme. IX. Aus dem Midraš des Rabbi Tanahuma, 7. Die Keuschheit Josephs, zit. bei J. Assmann u.a., Kommentar S. 1855). Dort tritt in der Verführungsszene ausdrücklich Gott als Versucher des Joseph auf. Aus der christlichen Sicht des Neuen Testamentes ändert sich der Blick auf die Versuchung. Denn dort geht sie nicht von Gott aus, sondern allein vom Menschen selbst, der sich von seinen Trieben leiten lässt (so Jakobusbrief 1,13-14).
(3) Ableitungen von chata´ als Verb oder Nomen chata´ah sind im Alten Testament über 700-mal belegt.
(4) Aber es gibt im Alten Testament noch andere Ausdrücke für „Verfehlung“ und „sich verfehlen“, um nur einige zu nennen: raša´): Frevel, Unrecht; pæša´: einen Rechtsbruch begehen; ´awon: Schuld, Verbrechen; ra´a: böse, schlecht sein, das Substantiv dazu: ra´ah: Übel, Böses. Alle diese Begriffe können auch mit „Sünde“ oder „sündigen“ übersetzt werden.
(5) Welchen Ursprung das deutsche Wort „Sünde“ (mhd. Sünde, sunde) genau hat, das zum ersten Mal in der deutschen Sprache verwendet wurde, ist nicht geklärt. Es war wohl das Christentum, das diesen Begriff auch ins Englische (sin), ins Dänische, Norwegische und Schwedische (synd) einbrachte.
(6) Sprechen wir doch auch von Verkehrssündern, Diätsünden, Bausünden usw.
(7) Dass das Wort „Sünde“ im Alten Testament nur auf Gott bezogen ist, ist deshalb nicht zu bestätigen. So deutet es J. Assmann, S. 144: „Der Begriff der Sünde, das heißt das hebräische Wort chatah wird in der Hebräischen Bibel ausschließlich mit Bezug auf Gott verwendet. Sündigen kann man nur gegen Gott, nicht gegen seine Mitmenschen.“ Als Vergehen gegen Menschen wird es aber im Alten Testament auch gebraucht, (z.B. 2 K 18,9 und 14; Gn 20.9).
(8) J. Assmann (S. 145) beurteilt dies anders: „Daher kann man den Begriff der Schuld als „transitiv“ kennzeichnen, er setzt ein Nach-außen-Wirken, ein In-Mitleidenschaft-Ziehen anderer voraus. Genau das gilt für den Begriff der Sünde nicht. Man kann sich versündigen, ohne einem anderen Schaden zuzufügen. … Es wäre aber ganz widersinnig, Gott in die Rolle des Geschädigten zu versetzen.“ Dass Gott durch die Sünde geschädigt wird, geht sicherlich zu weit. Aber er ist von ihr getroffen und sie ist ihm nicht gleichgültig.
(9) Totenbuch, Spruch 125 (Hornung, S. 233ff.). Die Ägypter waren überzeugt, dass das, was aufgeschrieben wurde, auch so Wirklichkeit werden könne. So war es sicherer, die „Sünden“ zu verneinen, um sie so nicht zum Leben zu erwecken und real zu machen.
(10) J. Assmann, S. 122; J. Assmann u.a., Kommentar S. 1434 mit weiteren Deutungsmöglichkeiten des Namens u.a. im Sinne von Ernährer, den Thomas Mann aufnahm und zum Titel des vierten Teils der Josephsromane machte: „ Joseph der Ernährer“.
(11) J. Assmann u.a., Kommentar S. 1424; A. Grimm, S. 53
(12) Goethe, Dichtung und Wahrheit, I,4 (J.W .v. Goethe, Werke V: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit, München 1973, S. 126ff.) Tatsächlich war Goethe schon im Alter von 13 bzw. 14 Jahren von der Josephsgeschichte begeistert und gestaltete diese Bibelkapitel zu seiner ersten großen Prosaerzählung (B. Lang, S. 4ff.).
(13) Aus Notizen Thomas Manns geht hervor, dass er tatsächlich von Goethe inspiriert wurde (A. Grimm, S. 13ff.).
(14) J. Assmann u.a., Kommentar S. 1460; A. Grimm, S. 67; K. Schröter, S. 136ff..
(15) J. Assmann, S. 98f.; J. Assmann u.a., Kommentar S. 972f.; P. Schäfer, S. 34ff.
(16) In Ägypten kannte man kein Eunuchentum. Das Wort „Eunuch“ taucht zum ersten Mal bei dem griechischen Satiriker Hipponax im 6. Jh. v. Chr. auf. Für die Griechen war es eine orientalische Sitte, die in Mesopotamien, am persischen Hof und bei den Assyrern Tradition hatte (z.B. Hdt. III,130; Xen. Cyr. 7,5,60).
(17) A. Grimm, S. 60f.
(18) Hier offenbart sich wohl Thomas Manns Furcht vor homoerotischen Tendenzen, mit denen er zeitlebens zu kämpfen hatte (K. Schröter, S. 83ff.; D. A. Prater, S. 48, E. Reents, S. 7ff.: „Die Hunde im Souterrain an die Kette gelegt“ und S. 95ff.).
(19) In just dessen Regierungszeit fällt ja auch bei Manetho die Vertreibung der Aussätzigen.
(20) Sigmund Freuds Schrift „Der Mann Moses und die monotheistische Religion“ war von den beiden ersten bereits erschienen Teilen des Thomas Mann-Romans inspiriert. Bei Freud setzt sich Echnaton allerdings mit Moses auseinander (J. Assmann, S. 190ff.).
(21) Th. Mann, Joseph, der Ernährer, S. 177: dazu s. J. Assmann u.a., Kommentar S. 1398; A. Grimm, S. 61
(22) Th. Mann, Joseph, der Ernährer, S. 178f.; Thomas Mann nimmt damit in Echnatons Religionsvorstellung den johanneischen Gedanken, dass Gott die Liebe ist (1. Joh. 4,8), vorweg. Der alttestamentarische Gott ist indes nicht nur ein liebender Gott (J. Assmann u.a., Kommentar S. 1399-1401).
(23) J. Assmann u.a., Kommentar S. 1770
(24) Th. Mann, Joseph, der Ernährer, S. 192ff.; s. auch J. Assmann, S. 165ff.; J. Assmann u.a., Kommentar S. 1409f.
(25) J. Assmann, S. 151

Literatur

J. Assmann, Thomas Mann und Ägypten. Mythos und Monotheismus in den Josephsromanen, München 2006
J. Assmann, D. Borchmeyer, S. Stachorski (unter Mitwirkung von P. Huber), Thomas Mann, Joseph und seine Brüder II: Joseph in Ägypten/Joseph der Ernährer, Kommentar, Frankfurt a. M. 2018
J. v. Beckerath, Handbuch der ägyptischen Königsnamen, Mainz 1999
Th. Burgstahler, G. Kahn, Die Namen der Bibel und ihre Bedeutung im Deutschen, Heilbronn, 10. Aufl. 1995
Günther Drosdowski, Sünde: Herkunftswörterbuch, Etymologie der deutschen Sprache (Duden Bd.7), 2. völlig neu bearb. u. erw. Auflage, Mannheim-Wien-Zürich 1989, S. 727f.
W. Gesenius, Hebräisches und Aramäisches Handwörterbuch über das Alte Testament, 17. Aufl. Berlin-Göttingen-Heidelberg 1962
A. Grimm, Joseph und Echnaton. Thomas Mann und Ägypten, Mainz 1992
E. Hornung, Das Totenbuch der Ägypter, eingel., übers. und erl. von E. Hornung, Zürich-München 1979
J. Kiefer, Sünde/Sünder (AT)-Lexikon:: bibelwissenschaft.de, 2017 (https://www.bibelwissenschaft.de/stichwort/31970)
B. Lang, Josef in Ägypten. Eine biblische Erzählung bei Goethe und Voltaire (Paderborner Universitätsreden 120) Paderborn 2011 (Digitalisat)
Th. Mann, Joseph und seine Brüder, Der dritte Roman: Joseph in Ägypten, Wien 1936, Frankfurt/M. 2002
Th. Mann, Joseph und seine Brüder, Der vierte Roman: Joseph der Ernährer, Stockholm 1943, Frankfurt/M. 2002
D. A. Prater, Thomas Mann. Deutscher und Weltbürger, München-Wien 1995
E. Reents, Thomas Mann, 2. Aufl. München 2002
P. Schäfer, Judenhass und Judenfurcht. Die Entstehung des Antisemitismus in der Antike, Berlin 2010
K. Schröter, Thomas Mann, 2. Neuauflage Reinbek bei Hamburg 2017
Art. „Sünde“ bei https://de.wikipedia.org/wiki/Sünde

Linktipps

Gabriele Gierlich: Judenfeindliche Äußerungen in der Antike und ihre Nachwirkungen (Aufsatz der gleichen Autorin)

Bildquelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Thomas_Mann_1937.jpg (gemeinfrei)