Monotheismus als Ursprung der Gewalt?
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Jan Assmann, Ägyptologe Die englische Religionswissenschaftlerin Karen Armstrong setzt sich in ihrem Buch intensiv mit der weit verbreiteten Ansicht auseinander, „dass Religion zwangsläufig mit Gewalt einhergeht“(1) und vor allem der Monotheismus als kriegerisch und aggressiv gilt. Die Überzeugung, dass mit dem Monotheismus die Gewalt in die Religion Einzug hielt, hat man auch in Jan Assmanns Werk „Exodus“ hineingelesen, in dem er sich mit dem 2. Buch des Alten Testamentes befasst und den Bezug zwischen Religion und Gewalt untersucht. Jan Assmann legt hier den jüdischen Monotheismus als
Monotheismus der Treue aus, der gewissermaßen einem Vasallenvertrag
zwischen Gott und seinem Volk Israel gleichkommt. JHWH kündigt dort
an, dass er die Feinde seines auserwählten Volkes eigenhändig
vernichten werde, aber er erwartet auch, dass die Israeliten als sein
verlängerter Arm agieren, wenn es darum geht, jegliche Untreue und
Abfall zu anderen Göttern zu bestrafen. Es ist tatsächlich im
Alten Testament von Treue, Untreue, Verrat, Abfall und Dienst für
Gott und Ehebündnis mit Gott die Rede. Da Israel als erstgeborener
Sohn JHWHs gilt, könnte man auch von unbedingtem Gehorsam dem Vater
gegenüber sprechen, der in einer patriarchalisch geprägten Gesellschaft
die Befolgung seiner Gebote bedingungslos einfordert. Die Kapitel 32-24 des Buches Exodus, die die Verehrung des
Goldenen Kalbes zum Inhalt haben und das daraus folgende furchtbare Strafgericht
des Moses gegen die Abtrünnigen, die er ermorden lässt, ist
ein Text, der immer wieder angeführt wird, wenn es um Monotheismus
und Gewalt geht. JHWH war so in Zorn über den Abfall seines Volkes
entbrannt, dass er selbst drohte, es zu vernichten. Aber auf Bitte des
Moses sieht er von einer Strafaktion ab: „Da ließ sich der
Herr das Böse reuen, das er seinem Volke angedroht hatte“ (32,14).(3)
Dennoch übt Moses nun die Gewalt aus eigenem Antrieb, sie ist ihm
nicht von Gott befohlen, allerdings lässt Gott sie zu. In diesen
Kapiteln ist auch immer wieder von der Güte, Gnade, Vergebung und
Barmherzigkeit JHWHs die Rede (Ex 34,6-7), der nicht nur ein eifernder,
sondern auch ein langmütiger Gott ist. Zorn und Gnade werden als
die beiden Seiten einer Medaille gesehen. Dass sich beide bedingen und
das eine ohne das andere nicht möglich ist, ist ebenso der Standpunkt
des christlichen Autors und Apologeten Laktanz (†317) in seiner
Schrift „De ira Dei/Vom Zorne Gottes“: Natürlich bringt das Alte Testament etwas völlig Neues in die
Geschichte ein, indem ein Gott mit einem Volk ein Bündnis schließt
und ihm Gebote verordnet, die es absolut, auch unter Strafe, zu beachten
gilt. Seit der Antike, wo wir aufgrund der Schriftkulturen das Religionsverständnis besser fassen können, lässt sich beobachten und feststellen, dass Gewalt kein Phänomen ist, das nur der Monotheismus hervorbringt. Dass Gott selbst gegen Vergehen seitens der Menschen vorgeht, ist nicht nur im Alten Testament zu lesen, sondern auch in anderen antiken Kulturen bekannt. Denn nicht nur im Alten Testament schickt Gott eine Sintflut, um die Menschen für ihre Bosheit zu bestrafen (Gen.6,5), sondern auch im alten Orient existiert eine Sintfluterzählung. In einer altbabylonischen Version heißt es, dass die Götter sich die Menschen erschufen, damit sie nicht alle Aufgaben allein bewältigen mussten. Dort war es allerdings nicht die Bosheit der Menschen, die die Götter dazu veranlasste, sie auszurotten, sondern es war ein viel lapidarerer Grund: Es war der Lärm, den die Menschen machten und der den Göttern den Schlaf raubte, so dass Gott Enlil den Plan fasste, die Menschen durch eine Sintflut zu vernichten. Auch hier wird ein Mann ausgewählt, eine Arche zu bauen und die Katastrophe zu überleben. Allerdings ziehen sich die Götter anschließend von der Erde zurück.(6) Nicht wie im Alten Testament, wo Gott trotz aller Unbotmäßigkeit der Menschen sich nicht von ihnen abwendet, sondern einen engen Bund mit ihnen schließt und unter ihnen in einem Zeltheiligtum wohnen will (Ex. 35ff.). Im Alten Ägypten glaubte man wie in Mesopotamien, dass einst die
Götter selbst auf Erden herrschten, die Menschen sich aber nicht
angemessen ihnen gegenüber verhielten. Wie im Alten Testament Gott bereit ist, für sein Volk Krieg zu führen, so zieht auch in Urartu der Gott selbst in der Schlacht voran und in Assyrien führt der Gott Assur ebenfalls selbst Krieg, „in dem die Menschen nicht einmal mehr Werkzeug zu sein brauchen“.(8) Da in den frühen Hochkulturen nicht zwischen Religion und politischem Handeln unterschieden wurde, konnten die weltlichen Herrscher in all ihrem Tun auch immer göttliches Sendungsbewusstsein für sich reklamieren. Die Götter geben hier zwar nicht direkt die Gesetze wie im Alten Testament, aber die Herrscher sahen sich als Vermittler des göttlichen Willens. Sie handeln in Übereinkunft mit den Göttern. Der Römer Varro hat dafür den Terminus „politische Theologie“ geprägt.(9) In den frühen Kulturen war es auch üblich, die Götter der Feinde ins eigene Pantheon zu integrieren. Die fremden Götter wurden in den eigenen Dienst gestellt und damit die Feinde deren göttlicher Macht beraubt. Dies war wohl auch der Fall bei der babylonischen Hammurapi-Stele, die aus einer babylonischen Stadt verschleppt und im persischen Susa aufgestellt wurde, wo sie 1901 bei Ausgrabungen gefunden wurde. Das obere Bildfeld der Stele zeigt den babylonischen König Hammurapi vor seinem Sonnengott Schamasch, der als Hüter von Recht und Gesetz galt, weil vor der Sonne nichts verborgen werden kann.(10) Als in Ägypten ab der 18. Dyn. eine aggressivere Außenpolitik an der Tagesordnung war als Antwort auf die Invasion der Hyksos aus Vorderasien in der 2. Zwischenzeit, erstarkte der Militärstand und man zog in den Krieg für den König und den obersten Gott Amun. Pharao Kamose, der die Hyksos vertrieben hatte, machte bei seiner Rückkehr vom Kriegszug in Theben beim Amuntempel Station, um die enge Verknüpfung zwischen ihm und dem Gott deutlich zu machen.(11) Amenhotep II. (ca. 1425-1401 v. Chr.) berichtet davon, dass er in seinem 3. Regierungsjahr eine Rebellion am Orontes niedergeschlagen habe. In deren Folge brachte er sieben tote Prinzen zurück, sechs hängte er an den Mauern Thebens auf, einen an den Mauern von Gebel Barkal. Beide Orte waren Verehrungszentren für Amun, dem er auf diese Weise für seinen Sieg danken wollte.(12) Die Verbindung Gott-Pharao kann jedoch noch weiter gehen. Wenn nämlich auf einer Stele aus dem alten Ägypten ein Offizier betend vor dem Pharao Ramses II. steht und Ramses ausdrücklich als Month, also als der ägyptische Kriegsgott, identifiziert wird, dann ist klar, dass Ramses hier mit dem Kriegsgott eins wird und als solcher Krieg führt.(13) Auch heißt es in ägyptischen Texten immer wieder, dass Gott durch die Lippen des Pharao spricht, wie einst der Gott des Alten Testamentes durch Mose.(14) Ramses II. war es auch, der im Krieg mit den Hethitern in der Schlacht bei Kadesch beinahe eine entscheidende Niederlage erlitten hätte, wenn nicht, wie er selbst behauptet hat, der Gott Amun ihm zu Hilfe gekommen wäre, um ihn zu retten.(15) Wie reine Machtpolitik als religiöser Kampf interpretiert wird, zeigt sich ebenfalls in Ägypten unter der Herrschaft der Ptolemäer, die nach der Eroberung Ägyptens durch Alexander d. Gr. 321 v. Chr. an die Macht gekommen waren. Bevor Alexander im Land am Nil einfiel, herrschten dort die Perser, die in der Bevölkerung eher verhasst waren. Alexander beendete deren Herrschaft. Die Vertreibung der Perser aus Ägypten erhielt ähnlich große Bedeutung wie einst die Vertreibung der Hyksos. Da die Ptolemäer aber Fremdherrscher waren, suchten sie Anerkennung in den oberen staatstragenden Schichten, vor allem in der Priesterschaft, um ihre Herrschaft abzusichern. Sie benötigten deren Unterstützung in ihren Kämpfen gegen die Seleukiden, die in Vorderasien regierten. Die Ptolemäer strebten eine Gebietserweiterung Richtung Syrien an. Fünf syrische Kriege wurden geführt, die die Staatskasse so stark belasteten, dass es tunlichst angeraten war, die Priesterschaft wohlwollend zu stimmen. Dies geschah dadurch, dass die ersten vier Ptolemäer sich in Verbindung mit ihren Syrienfeldzügen rühmten, die von den Persern geraubten Götterbilder zurückgebracht zu haben. Die Seleukiden wurden damit auf dieselbe Stufe wie die verhassten Perser gestellt und es existieren Priesterdekrete, die Ehrungen für den König wegen der Heimholung der einst geraubten Götterbilder beschlossen.(16) Als ein nicht minder gewalttätiges Element der polytheistischen Religionen muss man die Durchführung von Menschenopfern ansehen. Nicht nur wurden im Krieg die Feinde getötet oder später hingerichtet zu Ehren der Götter, sondern auch Menschen des eigenen Volkes wurden gezielt ausgewählt, um sie den Göttern als Opfer darzubringen. Dass dies der Fall war, wissen wir z.B. mit Sicherheit von der Religion der Inka. Dort wurden auf den höchsten Gipfeln der Anden mehr als 100 Schreine gefunden, die zwischen 1470 n. Chr. und 1532 n. Chr., der Ankunft der Spanier in Peru, errichtet wurden und Zeugnis dafür ablegen, dass Kinder und junge Frauen dort den Göttern geopfert worden sind.(17) Auch den Terminus „Heiliger Krieg“ kennen wir schon aus früher Zeit. Zum ersten Mal von einem „Heiligen Krieg“ hören wir bei den Griechen. Im 5. Jh. v. Chr. spricht Aristophanes (Av. 554ff.) von einem hieròs pólemos, meint damit aber nicht einen Krieg im Namen eines Gottes, sondern einen Krieg gegen den Gott Zeus. Auch in Bezug auf die Kämpfe um das Heiligtum in Delphi im 5. Jh. v. Chr. taucht der Begriff auf. Hier ist aber ein Krieg zu Gunsten des Heiligtums von Delphi gemeint, wie der griechische Geschichtsschreiber Thukydides berichtet. Da aber durch Aristophanes der Heilige Krieg als Krieg gegen Gott definiert war, spricht Thucydides von einem „sog. Heiligen Krieg“ um das Heiligtum in Delphi (Thuc. 1,112,5).(18) Bei den Römern ist zwar nicht von Heiligen Kriegen die Rede, aber
die Kriegsvorbereitungen liefen mit religiösen Ritualen ab. Die Götter
„sind im Krieg automatisch auf der eigenen Seite, werden höchstens
noch durch Opfer oder Voten „angespornt“.“(19)
Man rief die Götter an, um ein „bellum iustum, pium et legitimum/
einen gerechten, gottgefälligen und rechtmäßigen Krieg“
zu führen (Cic. Rep.17,31; Liv. I,32,7). Jan Assmann spricht in seinem Buch „Exodus“ auch vom „eifernden“ und „beleidigten Gott“,(21) aber beleidigte Götter, die besänftigt werden mussten mit Tier- und sogar Menschenopfern, gab es ebenfalls in heidnischen Religionen. Selbst heute noch demonstrieren polytheistische Religionen, dass Gewalt auch ihnen eigen ist, so der Konflikt der Hindus in Indien mit den Muslimen, der durch den Kampf um Kaschmir zwischen Pakistan und Indien noch einmal angeheizt wird, oder das Vorgehen gegen die muslimischen Rohingyas im weitgehend buddhistisch geprägten Myanmar. Verortet man allerdings alleine in der Religion, welche auch immer es ist, den Ursprung der Gewalt, so wird man spätestens im Hinblick auf den Nationalsozialismus und den realen Kommunismus eines Besseren belehrt. Auch die säkularen Ideologien, die ohne Gott auskommen wollen, sprechen mit der Stimme der Gewalt. So muss man Gewalttätigkeit und Brutalität eher im Wesen des Menschen suchen als in einer spezifischen Religion. Die englische Religionswissenschaftlerin Karen Armstrong, die sich in ihrem Buch detailliert mit dem Krieg im Namen Gottes auseinandersetzt, betont zugleich nachdrücklich, dass die Religion auch eine Alternative zur Gewalt bietet, nämlich indem sie Nächstenliebe und Verzeihung predigt.(22)
Literatur K. Armstrong, Im Namen Gottes. Religion und Gewalt, München 2014
(TB 2016) Fußnoten (1) K. Armstrong, S. 11f.;29 Linktipps Gabriele Gierlich: Judenfeindliche Äußerungen in der Antike und ihre Nachwirkungen (Aufsatz der gleichen Autorin) Gabriele Gierlich: Joseph in Ägypten. Die Josephsgeschichte in der Bibel und in Thomas Manns Josephsromanen (Aufsatz der gleichen Autorin)
Bildquelle:https://de.wikipedia.org/wiki/Jan_Assmann#/media/Datei:Assmann_mg_0870.jpg (gemeinfrei, CC BY-SA 2.0 fr)
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