Shakespeares "Kaufmann von Venedig"
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Um die Bedeutung des Stückes zu ermessen, muss man sich fragen, welche Rolle Juden damals in England und Venedig eigentlich spielten. Im 17. Jh. gab es wieder Juden in England, nachdem sie 1290 von König Edward I. aus dem Land vertrieben worden waren und ihnen eine Rückkehr bei Todesstrafe verwehrt wurde. Doch nunmehr im Zeitalter Henrys VIII. und seiner Tochter Elisabeth I. wurden sie wieder offiziell geduldet, auch wenn sich in England nur eine kleinere Gruppe der Sephardim aus Spanien und Portugal einfand. So war der Leibarzt der Königin Elisabeth I. ein portugiesischer Jude namens Rodrigo Lopez, offiziell ein „converso“, der aber insgeheim seine jüdischen Bräuche beibehielt. Doch obwohl zu höchsten Ehren aufgestiegen, wird er bald verdächtigt, einen Giftanschlag gegen Elisabeth vorbereitet zu haben. Die Anklage geht rigoros vor: „Dieser Lopez, ein meineidiger und mörderischer Verräter und jüdischer Arzt, schlimmer noch als Judas selbst, hat sich zum Giftmord angeboten. (…) Ein elender Jude, (…) tückisch und geldgierig.“(4) Das Urteil lautet auf Todesstrafe, die 1594 in London äußerst grausam vollstreckt wurde und die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf die Juden lenkte, die damals vor allem im Geldgeschäft tätig waren, was schlecht beleumundet war. Und so fand das Drama von Christopher Marlowe mit dem Titel „The Jew of Malta“, dessen Erstaufführung 1592 stattfand, großen Anklang, sodass es in den folgenden vier Jahren 36 Mal gespielt wurde.(5) In Marlowes Drama geht es darum, dass der osmanische Herrscher über Malta von der Bevölkerung Tribut fordert. Da diese der Forderung nicht nachkommen kann, werden die reichen Juden zur Bezahlung gezwungen und der reichste unter ihnen Barabas verliert seinen ganzen Besitz. Weil er sich ungerecht behandelt fühlt, vollzieht er grausame Rache an allen, die ihm Unrecht taten. Barabas wird dabei als gewissenloser, heimtückischer Machtmensch geschildert, sodass seine Figur alle antisemitischen Klischees bedient. Ein solches Schurkendrama, nach dem Schwarz-Weiß-Schema gestaltet, faszinierte die Zuschauer und war bei ihnen sehr beliebt. So konnte sich der „gute“ Christ gegen den „bösen“ Juden abgrenzen. Seit wann genau Juden in Venedig ansässig waren, lässt sich nicht genau bestimmen. Bereits im 14. Jh. wird in Venedig darüber diskutiert, den Juden ein eigenes Wohngebiet zuzuweisen, was von den Juden zunächst zwar begrüßt wurde, aber nie zustande kam. Jetzt im Jahre 1516 wird ihnen ein festungsähnlicher Gebäudekomplex in der Pfarrei San Girolamo zum Wohnort bestimmt, wo sich eine ehemalige Gießerei befand.(6) Es entstand das erste Ghetto in Europa. Da die Juden damals sehr angefeindet wurden, war das Ghetto nicht als bevorzugtes Wohngebiet, sondern zur Verbannung der Juden gedacht, von denen damals behauptet wurde, sie erbauten unerlaubt Synagogen und untergrüben den Staat. Das venezianische Ghetto war durch zwei Tore verschlossen, die abends ab 24 Uhr verriegelt und morgens beim Klang der Marangona-Glocke(7) geöffnet wurden. Da sich immer mehr Juden im Ghetto ansiedelten, wurden die Häuser aufgestockt, sodass die höchsten Häuser Venedigs bald im Judenviertel standen. Die Gassen waren eng, Sonne fiel kaum hinein. In Venedig waren die Juden vor allem im Geldhandel und Pfandleihgeschäft tätig und fungierten als Bankengründer. Allerdings wurde die Kreditvergabe auf Zins sowohl im Judentum wie im Christentum diskutiert. Die Juden beriefen sich auf eine Stelle im AT, wo es heißt: „Vom Ausländer magst du Zins nehmen, aber von deinem Bruder sollst du keinen Zins nehmen…“.(8) Die Christen, die sich nach dem NT ausrichteten, folgten dem Vers im Lukasevangelium (6,35): „Tut Gutes und leihet, ohne etwas zurückzuerwarten.“ Diese Stelle im Evangelium verbot also sogar die Rückforderung der geliehenen Summe. Zwischen diesen beiden Polen schwankte die Argumentation und Auseinandersetzung zwischen Juden und Christen. 1139 wurde in einem Konzil (II. Lateranum) von der Kirche erstmals generell ein Wucherverbot für die Christen ausgesprochen. Die Folge war, dass man die Juden in das Geldgeschäft drängte, zumal es diesen fast überall verboten war, über Landbesitz zu verfügen und Handel zu treiben. Die Kirche konnte so, wie auch die weltlichen Landesherren, weiterhin mit der Finanzierung ihrer Vorhaben rechnen, das negative Image des Geldhandels konnten sie jedoch gänzlich auf die Juden abwälzen. Im Grunde war somit der Geldhandel den Juden von außen aufgezwungen, was bereits Rabbenu Tam, ein französischer jüdischer Gelehrter und Verfasser von Talmudkommentaren, im 12. Jh. feststellte. Der Geldhandel schlechthin wurde im Mittelalter als „Wuchergeschäft“ bezeichnet, selbst wenn die Zinsen gar nicht exorbitant hoch waren und unserem heutigen Begriff von „Wucher“ gar nicht entsprachen. Zinseszinsen zu nehmen war allerdings verboten. Außerdem wurden die Zinsen nicht von den Juden festgelegt, sondern von den Fürsten und Städten und die Juden wurden zu hohen Abgaben verpflichtet als Gegenleistung für die Erlaubnis zum Geldhandel. Die Bedingungen mussten immer aufs Neue zwischen Fürsten, Adel, Kommunen und Juden neu verhandelt werden, sodass je nach wirtschaftlicher Lage der Gebietsherren sich die Situation für die Juden mal besser, mal schlechter gestaltete. Natürlich war auch trotz aller Bestimmungen Missbrauch z.B. beim Geldwechsel nicht unmöglich, auch wenn die staatlichen Kontrollen äußerst streng waren. In Shakespeares Stück „Der Kaufmann von Venedig“,
ganz im Gegensatz zum Werk seines Zeitgenossen Marlowe, findet man alles
andere als einen plakativen und klischeehaften Umgang mit der Gestalt
des Juden Shylock. Das oft als antisemitische Schrift gedeutete und in
der NS-Zeit oft gespielte Stück, um die Geldgier und Grausamkeit
der Juden zur Schau zu stellen, zeichnet sich im Grunde durch eine detaillierte
Charakterzeichnung des Juden Shylock aus. Shylocks Innenleben und seine
Handlungen erfahren eine differenzierte Begründung, sodass man versteht,
was ihn antreibt und man sogar Mitleid mit ihm empfindet. Neben der Handlung
um Shylock enthält die Komödie auch eine Liebesgeschichte, die
die eigentliche Heiterkeit ins Stück bringt entgegen der eher tragischen
Handlung um Shylock.
Doch Shylock leiht trotz aller Verletzungen und Beleidigungen dem Christen Antonio die gewünschte Summe. Statt Zinsen verlangt er bei Zahlungsunfähigkeit Antonios ein Pfund Fleisch von Antonios Körper.(10) Antonio stimmt zu, weil er seines Reichtums gewiss ist und keine Probleme bei der Einlösung des Kredites sieht. Doch es soll anders kommen, Antonios Handelsschiffe kehren nicht wie erwartet nach Italien zurück und so gerät er in eine prekäre Situation. Shylock erleidet ebenfalls persönliches Unglück, als sein Diener ihn verlässt und seine einzige Tochter Jessica(11) von zu Hause flieht, sein Geld und seinen Schmuck mitnimmt und verprasst. Als Shylock Solanio, einen Freund Antonios, trifft, der ihn verspottet, weil er seine Tochter verloren hat, hält Shylock in seiner Verbitterung seinen berühmten Monolog (III,1):
Schließlich läuft der Konflikt Shylocks mit Antonio
auf eine Gerichtsverhandlung vor dem Dogen hinaus. Denn Shylock besteht
unnachgiebig auf Vertragserfüllung. Auch als Bassanio für Antonio
einspringen will und ihm mehr Geld erstatten will, als ihm zusteht, lehnt
Shylock ab. Der ewig wie ein Hund getretene Jude will Rache und ist für
versöhnende Argumente und Bitten nicht mehr zugänglich. Eine spannende Frage ist, wie das Publikum zu Shakespeares
Zeit das Schauspiel aufgefasst hat. Es gibt viele Quellenzeugnisse darüber,
dass die Theaterautoren ihr Publikum kritisierten, wobei sie weniger schlechtes
Benehmen als mangelndes Verständnis anführten. Allerdings legte
das Publikum der Theater, die bis zu 3000 Plätze umfassen konnten,
einen Verhaltenskodex an den Tag, der sicher nicht zum Verstehen des Stückes
beitrug: Beifallskundgebungen, missbilligende Zurufe, Publikumsausschreitungen,
Diebstähle, Trinken und Essen während der Vorstellung begleiteten
die Aufführung. Als „Der Kaufmann von Venedig“ 1973 von Peter
Zadek im Schauspielhaus Bochum aufgeführt wurde, hatte dieser zwei
überlebensgroße Figuren über den Eingangstüren des
Theaters anbringen lassen, die Shylock zeigten, wie er gerade dazu ansetzt,
mit einem Messer in der Hand bei Antonio ein Pfund Fleisch herauszuschneiden.
Dies wurde in der Kritik nicht zu Unrecht als „antisemitisches Plakat“
wahrgenommen: „Da ist der Jude, wie er auf einen in Heldenpose dargestellten
Christen einsticht, ihm nach dem Leben trachtet… Wer zeit seines
Lebens für Versöhnung und Toleranz gewesen ist, erhält
eine Ohrfeige. Zwar wird ihn das Plakat nicht wankend machen. Aber ihn
wird es bestimmt zum Nachdenken anregen und zu der Überzeugung zwingen,
dass die für dieses Plakat Verantwortlichen (und dies kann nicht
nur der Regisseur Zadek allein sein!) dem nachbarlichen Zusammenleben
von Juden mit ihren Verfolgern von einst in der Bundesrepublik ein Hindernis
in den Weg gestellt haben.(13)
Anmerkungen (1) Zitat von Robespierre, zit. bei C.Ch.
Lehrmann, „Die Zeit“, Nr.14 / 1969, S.5; Digitalisat Ausgaben Engl. Ausgabe: The Complete Works of William Shakespeare, 15th Impression
London-New York-Sidney-Toronto 1972 Sekundärliteratur J.F. Battenberg, Juden, in: G. Melville/M. Straub (Hrsg.), Enzyklopädie
des Mittelalters, 1.Bd. (Sonderausgabe) Darmstadt 2017, S. 149ff. Externe Linktipps Aufsätze der gleichen Autorin Monotheismus als Ursprung der Gewalt? Eine Einrede Judenfeindliche Äußerungen in der Antike und ihre Nachwirkungen Joseph in Ägypten. Die Josephsgeschichte in der Bibel und in Thomas Manns Josephsromanen
Bildquelle: Wikipedia Commons |
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