Es ist absurd - die Ernten verrotten und die Menschen sind auf Nahrungsmittelhilfe angewiesen

Friedlicher Protest gegen die "Mauer" im Westjordanland

Mauer bei Abu Dis (Ost-Jerusalem)

Jayyous (Westjordanland)/Genf, 2. Februar 2004 (LWI) - "Warum bauen sie die Mauer nicht entlang der grünen Linie? Warum nehmen sie uns 70 Prozent unseres wertvollsten Landes? Was soll mit den Leuten geschehen, die zwischen der grünen Linie und der Mauer wohnen? Wovon sollen wir in Zukunft leben? Die Arbeitsstellen in Israel sind schon verloren, jetzt verlieren wir auch noch unser Land, von dem wir leben." Abu Assam, einer der wohlhabenden Bauern in Jayyous, nordöstlich von Kalkilija im Westjordanland, steht auf dem Hügel, auf dem sein Dorf liegt, und blickt hinunter auf die fruchtbare Küstenebene, auf sein Land jenseits der "Mauer", wie die Sperranlage in Palästina genannt wird. Bereits im September 2002 war von Jayyous aus schon zu sehen, was auf die Menschen zukommen würde.

Der Bau der sogenannten "Mauer" begann mit einer groß angelegten Enteignungsaktion. Im Nordwesten der besetzten palästinensischen Gebiete zwischen Jenin und Kalkilija fanden Bauern Mitte 2002 amtliche Benachrichtigungen an ihre Bäume geheftet: Sie wurden von der israelischen Zivilverwaltung für das Westjordanland davon in Kenntnis gesetzt, dass bestimmte Stücke Land aus militärischen Gründen konfisziert würden. Gegen diesen Bescheid könne innerhalb von 14 Tagen Einspruch eingelegt werden. Als Begründung wurden die schweren Anschläge genannt, die in der ersten Jahreshälfte 2002 von palästinensischen SelbstmordattentäterInnen auf die israelische Zivilbevölkerung ausgeübt wurden. Das Westjordanland sollte abgesperrt werden, um das Eindringen von TerroristInnen zu verhindern.

Was die LandbesitzerInnen aufbrachte, war weniger die Aussicht, in Zukunft von Israel - und damit von ihren palästinensischen Verwandten in Israel und von israelischen Arbeitsplätzen - abgeschnitten zu werden, sondern der Verlauf der geplanten Sperranlage. Der folgte zu Beginn der Bauarbeiten im Norden von Jenin noch der sogenannten "grünen Linie", der Grenze zwischen Israel und dem Westjordanland, wie sie 1967 nach dem Sechs-Tage-Krieg als Waffenstillstandslinie festgelegt worden waren. Aber das Land, das für den Bau der Sperranlage weiter südlich konfisziert werden sollte, lag nicht an der grünen Linie. Es lag an vielen Stellen nicht nur einige hundert Meter, sondern einige Kilometer östlich dieser Grenze auf dem Boden der besetzten palästinensischen Gebiete.

 

Zehntausende Olivenbäume fielen dem Bau der "Mauer" bisher zum Opfer

Alle Einsprüche gegen die Enteignung wurden abgewiesen, und der Bau begann. Mit schwerem Gerät wurde eine breite Schneise quer durch Orangen- und Olivenplantagen geschlagen. über 100.000 Bäume wurden seither ausgerissen, darunter viele Olivenbäume, die schon mehrere Jahrhunderte ihre EigentümerInnen ernährt hatten.

Die Erbitterung der Menschen entlang der neuen Grenze war groß. Es war nicht nur der Verlust wertvollen Landes. Viele Gemeinden fanden sich nun zwischen der grünen Linie und der Sperranlage wieder, andere sahen sich von ihrem Land westlich der neuen Grenze abgeschnitten. Alle befürchteten, dass sie nun keinen Zugang mehr zu den so wichtigen Wasserquellen für die Bewässerung der Felder und Gewächshäuser und zur Gewinnung von Trinkwasser haben würden.

Mit Unterstützung durch internationale Solidaritätsgruppen organisierten die Betroffenen friedliche Proteste an der Baustelle. Der Imam von Jayyous lud seine Gemeinde zum Freitagsgebet auf die Felder ein. Aber kein Protest half, die Sperranlage nahm Gestalt an. Sie wurde nicht nur ein "Sicherheitszaun", wie ihn die israelischen Behörden nannten. Es entstand eine befestigte Grenze mit allem, was dazu gehört. Und um die Städte Tulkarem und Kalkilija herum wurde tatsächlich eine hohe Betonmauer gebaut.

Während der Bauphase - bis hinein in die erste Hälfte 2003 - war es den Bauern/Bäuerinnen noch möglich, die Baustelle mit ihren Traktoren und Transportern zu überqueren. Die Sicherheitskräfte, die die BauarbeiterInnen schützen sollten, ließen sie gewähren. Nur die HändlerInnen mit ihren Lastwagen blieben zunehmend aus. Das Fahren wurde zunehmend schwieriger und die Sicherheitskräfte strikter.

Im August 2003 war die Sperranlage schließlich fertig. Auf jeder Seite des 2,5 Meter hohen Zaunes verliefen eine Straße, ein tiefer Graben mit mehreren Rollen Stacheldraht, der mit kleinen, rasierklingenscharfen Metallplättchen besetzt ist.

Die Tore bleiben wochenlang geschlossen

Unüberwindbar. Aber es gab auch zwei landwirtschaftliche Tore im Zaun für Jayyous. Abu Assam war zwar skeptisch, aber nicht ganz ohne Hoffnung. "Wir können auf unser Land. Das haben sie uns zugesagt. Aber wir werden dort auch übernachten, wenn es sein muss in Zelten."

Die Tore, die zunächst weit offen standen, wurden im Oktober 2003 geschlossen und nur zu bestimmten Tageszeiten für kurze Zeit geöffnet. Nach neuen Anschlägen in Israel und während der israelischen Feiertage wurden die Tore wochenlang überhaupt nicht geöffnet. Wer auf den Feldern übernachtete, wurde unter Androhung schwerer Geldstrafen vertrieben. Den Hirten von Jayyous, die mit ihren Schaf- und Ziegenherden umherziehen, wurde der Zugang zum Land jenseits der Sperranlage verweigert. Schließlich wurden Passierscheine ausgegeben, mit denen der Personenkreis, der überhaupt noch hinüberdurfte, festgelegt wurde. Abu Assam und mit ihm viele andere Landbesitzer bekam keinen. "Ich weiß nicht, warum. Aber ich gebe nicht auf", betonte er.

Als nächstes plante Abu Assam eine Demonstration an einem der beiden Tore. Er war wieder mit seinem Zelt da. Und bei ihm waren nicht nur die Leute von Jayyous sondern auch viele internationale Freiwillige. Unter ihnen auch Mitglieder des ökumenischen Begleitprogramms in Palästina und Israel (EAPPI), die seit Oktober 2002 die Situation in Jayyous vor Ort begleiten. Es kamen auch Busse mit israelischen MenschenrechtsaktivistInnen. Abu Assam ist Mitglied einer Dialoggruppe, zu der sowohl PalästinenserInnen als auch Israelis gehören.

"Eines Tages wird auch diese Mauer fallen!"

Er ist voller Lob und Anerkennung für die internationale Unterstützung, die die Menschen in Jayyous sehr konkret in ihrem Dorf erleben. Hinzu kommt die humanitäre Hilfe, insbesondere auch von christlichen Organisationen. Darunter auch vom Lutherischen Weltbund (LWB). "Diese Unterstützung ist für uns alle eine große Ermutigung und ein Zeichen dafür, dass die Welt uns nicht vergessen hat. Eines Tages wird auch diese Mauer fallen!"

Abu Assam ist sich wohl bewußt, dass es ihm vergleichsweise noch gut geht. Viele Menschen in Jayyous sind inzwischen auf humanitäre Hilfe angewiesen. Nahrungsmittelhilfe kommt auf großen Lastwagen ins Dorf. "Die Verteilung ist schwierig, es gibt zu viele Arme, es reicht nicht für jeden. Und das in einem Dorf, das nicht nur sich selbst, sondern viele andere Menschen mit landwirtschaftlichen Produkten ernähren könnte. Unsere Ernten verrotten jetzt - und unsere Leute stehen Schlange vor den Verteilstellen. Es ist absurd. Wie lange soll das noch so weitergehen?"


Der Lutherische Weltbund fordert: "Reißt die Mauer nieder!". Lesen Sie warum!
Die Sicht der israelischen Regierung finden Sie hier...

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