Dem Vergessen entgegenwirken
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Ein dunkles Datum der pfälzischen Geschichte jährte sich am 22. Oktober 2020 zum 80. Mal. Über 6.500 Juden aus Baden, der Pfalz und der Saarland wurden an diesen Tag auf Betreiben des badischen Gauleiters Robert Wagner und seines pfälzischen Kollegen Josef Bürckel in das im unbesetzten Frankreich gelegene und ursprünglich für Flüchtlinge des Spanischen Bürgerkrieges errichtete Internierungslager Gurs deportiert. Für viele von ihnen war dies nur eine Zwischenstation in die Vernichtungslager des Ostens. Die Deportation der pfälzischen Juden bedeutete gleichsam das Ende der jüdischen Gemeinden in den Städten und Dörfern der Pfalz, die 1933 noch 6.487 jüdische Einwohner zählten. Bedingt durch die 1933 einsetzende Entrechtung und Verfolgung hatten etwa 5.000 jüdische Menschen die Pfalz verlassen, sind ins Ausland emigriert oder waren in größere Städte geflüchtet. Am frühen Morgen des 22. Oktober 1940 wurden die „transportfähigen
Volljuden“ – wie es in einem Merkblatt der Nationalsozialisten
hieß – in ihren Wohnungen festgenommen und abtransportiert.
Für die Deportation nach Gurs waren 827 Personen (483 Frauen und
344 Männer) aus der Pfalz vorgesehen. Die meisten von ihnen waren
über 47 Jahre, die beiden Ältesten 87 und 88 Jahre alt! Deportiert
wurden 63 Kinder – zwei von ihnen nur wenige Monate alt. Die damals
neunjährige aus Kaiserslautern stammende und heute in der Schweiz
lebende Margot Wicki-Schwarzschild erinnert sich noch gut an den Tag der
Deportation: „Eines sehr frühen Morgens wurden wir jäh
aus dem Schlaf gerissen; Stiefelgetrampel und Iautes Klopfen an der Wohnungstür,
Ich sah meine Eltern erbleichen, zu Tode erschrecken... In der Tür
standen Gestapo-Leute in Zivil... Ich sah meinen Vater zittern, meine
Mutter weinen... So standen wir, zusammen mit unserer fast 80-jährigen
Großmutter, eine Stunde später übernächtigt und blaß,
bereit zum Abtransport... Wir wurden dann am späten Abend auf den
Güterbahnhof getrieben, durch eine Unterführung, in der die
Hitlerjugend der ganzen Stadt Spalier stand, uns verhöhnte, beschimpfte
und anspuckte. Wir kamen uns wie der Abschaum der Menschheit vor.“ Über die Situation in Gurs, die katastrophalen hygienischen Zustände und die mangelhafte Verpflegung liegen zahlreiche weitere erschütternde Augenzeugenberichte vor. Ohne den Einsatz internationaler Hilfsorganisationen, etwa des Schweizer Kinderhilfswerks und seiner Schwester Elsbeth Kasser („der Engel von Gurs“) oder der amerikanischen Quäker, die tonnenweise Lebensmittel und Kleidung ins Lager brachten, wäre die Zahl der in Gurs Verstorbenen sicher noch höher gewesen. Im Frühjahr 1941 wurden viele Internierte in benachbarte Lager verlegt. Von den 825 im Oktober 1940 direkt aus der Pfalz deportierten Personen starben 225 Frauen, Männer und Kinder in Gurs sowie in anderen Lagern im Süden Frankreich wie Le Récébédou, Noé, Rivesaltes und in verschiedenen Hospitälern. Manche, die über Ausreisepapiere verfügten, konnten
noch auswandern, vor allem in die USA. Die meisten Kinder wurden von französischen
Familien, vor allem auch von verschiedenen jüdischen und kirchlichen
Hilfsorganisationen gerettet. Ein Teil von ihnen gelangte über Lissabon
in die USA. Andere wurden versteckt, beispielsweise von dem reformierten
Pfarrer André Trocmé in der hugenottischen Gemeinde Le Chambon-sur-Lignon
in den Cevennen. Text: Roland Paul, Direktor i.R. des Instituts für Pfälzische Geschichte und Volkskunde in Kaiserslautern
Literatur (Auswahl): Arbeitshilfen Weitere Artikel zum Thema
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