Spurensicherung - Lebenslauf einer Ingenheimer Jüdin
Teil 4

Warten auf den Tod
Das Leben im Lager

Ich schlief in einem Raum mit 54 Betten, die aus Platzgründen aufgestapelt und nur mittels einer Leiter erreichbar waren, zusammen mit sieben Pfälzern und 47 Juden, die aus einer anderen Gegend herstammten, meist aus der Tschechoslowakei. Wichtig ist bei diesem Punkt noch folgende Tatsache: Meine Mutter und ich ließen uns getrennt registrieren, damit wir nicht auseinander gerissen wurden, sondern in dem selben Raum schlafen konnten. Schon am nächsten Tag musste ich sehr hart arbeiten. Dabei wurde mir anfangs eine Frau zugeteilt, die inzwischen eine meiner engsten Freundinnen geworden ist. Sie war sehr schwermütig und wäre wahrscheinlich zugrunde gegangen, wenn ich ihr nicht immer hinweg geholfen hätte. Meistens bestand unsere Tätigkeit aus Putzen. Einmal mussten wir einen Raum, in dem vorher die SS gehaust hatte, sauber machen. Zwei Tage später erteilte man uns, verblüffenderweise, den selben Auftrag noch einmal. Die SS hatte inzwischen, so absurd es auch klingen mag, den Saal mit Absicht beschmutzt.

Schlafraum in einem KZ

Allmählich machte man uns das Leben zur Hölle und versuchte uns im wahrsten Sinne des Wortes physisch zu vernichten. Wir hatten kaum Schlaf. Auch das Essen war kaum geniesbar. Ich schob es meist von mirt, doch meine Mutter sagte immer wieder zu mir: Mädchen, iss doch bitte ein Löffelchen, sonst gehst du noch zugrunde! In den ersten acht Tagen hatte ich 13 Pfund abgenommen, ich spürte kaum noch den Boden unter den Füßen, meine Beine schlotterten nur noch.

Auch die jüdische Selbstverwaltung diente der physischen Vernichtung, da das Lager von Juden, die die Instruktionen der SS-Männer zu erfüllen hatten, verwaltet wurde. Es gab keine geregelte Arbeitszeit. So wurden wir regelmäßig von Juden in der Nacht aus dem Bett geworfen und mussten arbeiten. Das konnte man auch nicht mit dem besten WIllen auf die Dauer aushalten. So sah die Systematik aus, mit der sie uns vernichten wollten. Freie Tage gab es eigentlich nur formal, für uns Deutsche schon gar nicht. Wir fragten uns damals, gibt es wirkliche so viel Schlechtigkeit unter den Menschen?

Doch unser Lager soll ja nicht so schlecht gewesen sein. Ein junger Mann, aus einem anderen Lager kommend, sah zu, wie seine Eltern vor seinen eigenen Augen ermordet wurden. Er sagte einmal zu mir: Wir seien ja hier im Sanatorium! Nach einigen Wochen war ich mit meiner Kraft am Nullpunkt angelangt. Ich konnte es einfach nicht mit ansehen, wie Lagerverwalter mit Eskorten durch die Menge ritten und mit der Peitsche auf die Juden, die meist nur noch aus Skeletten bestanden, einschlugen. Einmal sah ich sogar, als Skelette von Juden in Leiterwagen abgeholt und in die Eger gekippt wurden.

Ich meldete mich nun als Krankenpflegerin zur Behandlung von TB, Typhus etc., um dem zu entgehen, da hier die SS-Männer aus Angst vor Ansteckung nicht hinkamen. Bevor ich meine Arbeit aufnahm, wurde ich kahlrasiert. Hier lagen Häftlinge, die man nicht mehr als Menschen identifizieren konnte. Sie waren voller Filzläuse und hatten Phlegmone, etwa handgroße eitrige Entzündungen am ganzen Körper. Aber hier ging es mir mit der Zeit noch schlechetr, ich merkte, dass mit mir etwas nicht stimmte. Tage später sah ich es am eigenen Leib. Ich hatte mich angesteckt und hatte Fleckentyphus bekommen. Sofort wurde ich in eine Barackenähnliche Kaserene, in ein riesiges Zelt mit schwarz aufgemalten Todesköpfen [!] gebracht. Hier lag ich nun, rechts und links von mir starben Juden, und wartete ebenfalls sehnsüchtig auf den Tod. Ich glaubte nicht mehr daran, noch einmal aufstehen zu können, ja ich wartete schon auf den Augenblick, in dem ich die Augen schloss. Doch ich überstand diese Krankheit mit dem nötigen Glück, welches nur sehr wenige hatten.

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Links zum jüdischen Leben in Ingenheim

Die Reichspogromnacht in Ingenheim, aus einem Vernehmungsprotokoll
Kurzinformationen über die Synagoge in Ingenheim
Hier etwas über Anselm Schopflich Lévi; einen Rabbiner Ingenheims (19. Jhd.)
Hier finden Sie Bilder und weitere Informationen zum jüdischen Leben in Ingenheim.
Weitere hilfreiche Materialien und Bilder auch unter http://www.alemannia-judaica.de/ingenheim_synagoge.htm (externer Link)